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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Bjarke Ingels Group im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main

Spielerisch innovativ

HOT TO COLD: In der Ausstellung von BIG (Bjarke Ingels Group) im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt geht es um den Einfluss des Klimas auf die Architektur rund um den Globus. Die Architektengruppe agiert global und hat Niederlassungen in Kopenhagen, London und New York. Bei der Umsetzung ihrer Projekte erforscht ein Zusammenschluss von Architekten, Designern und Experten aus den Bereichen Architektur und Innen-Architektur, Städte- und Landschaftsplanung, Produktdesign, Forschung und Entwicklung die örtlichen Gegebenheiten und Interessen, um – orientiert an Klimazonen – zu neuartigen architektonischen Lösungen zu gelangen. Ein Bericht von

Petra Kammann

In der Regel sind heutige Großstädte gebaute und historisch gewachsene Gebilde mit geringen Freiflächen. Die Klimazonen, in denen sie liegen, haben sowohl die Baumaterialien als auch ihren Baustil bestimmt. Heute sind Architekten in den Städten von etlichen Vorgaben und Auflagen umstellt. Wo kann da die Aufgabe des Architekten beginnen? Und wie kann er dabei noch seinen ganz spezifischen Stil entwickeln? Für den dänischen 42-jährigen Architekten Bjarke Ingels und Gründer der Kopenhagener Architektengruppe BIG, der am liebsten alle glücklich machen möchte, lautet eine der Überzeugungen: „Architektur ist mehr als das Entwerfen hübscher Fassaden oder eindrucksvoller Skulpturen. Sie ist die Gestaltung von Menschen geschaffener Ökosysteme, in denen wir nicht nur die Wege der Menschen, sondern auch die der Ressourcen durch unsere Städte und Bauten lenken müssen.“ Der Architekt, der auch gerne Comiczeichner geworden wäre, erlegt sich keine Denktabus auf, empfindet Vorgaben nicht als Zwang, er sieht die Sache positiv und pragmatisch, weswegen er sich von einem Kürzel leiten lässt, das er selbst erfunden hat: YIM: „Yes Is More“.

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DAM-Direktor Peter Cachola Schmal im Gespräch mit Kai-Uwe Bergmann, Partner von BIG (Bjarke Ingels Group)

Ingels betrachtet Architektur als eine Form der Evolution, wobei er der Utopie eine reale Chance einräumt. Sein Credo lautet, dass in einem gemeinsamen Prozess vieler Spezialisten etwas Neues entsteht. Da lassen sich etwa Gegensätze wie Stadt und Peripherie, Bevölkerungsdichte und Gartenidyll unter einen Hut bringen. Voraussetzung ist, dass die Interessen von Architekten, Bauherren, Immobilienunternehmern, Bewohnern und auch die unmittelbare Umgebung in den Entstehungsprozess einbezogen werden, um als Beteiligte an einem Strang zu ziehen. Wichtig auch, dass die Gemengelage zunächst einmal sorgfältig analysiert werden muss. Daraus leitet Ingels dann flugs neue und unkonventionelle architektonische Lösungen ab. Er verbindet gemeinsame Wege und Gebäude auf überraschende Weise, lässt sie sich in die Luft erheben, dreht sie in eine andere Richtung, vergräbt sie oder lässt sie völlig neue Volten schlagen, ganz nach Belieben.

Ökologisches Bauen bedeutet für die dänische Architektengruppe daher auch nicht etwa Verzicht auf Komfort und Lebensfreude, was bisweilen als ungebremster Hedonismus missverstanden wird. Die Bauten von BIG vereinen häufig die besten Elemente europäischer Bautradition, sie verbinden Funktionalität und utopische Phantastereien so pragmatisch wie nonchalant. Dabei entstehen an den verschiedenen Ecken der Welt intelligente, bisweilen waghalsige, aber auch überzeugend schöne architektonische Gebäudekomplexe aus den gebündelten Synergien, nur weil sie aus der Not eine Tugend und „das Beste aus einer häufig verqueren Lage“ machen.

BIG traf eine Auswahl von 23 Projekten aus der Ausstellung „Hot to Could“, die in größerem Umfang im vergangenen Jahr im National Building Museum in Washington zu sehen war, eigens für die Frankfurter Räumlichkeiten des Deutschen Architekturmuseums. Sie ist noch bis zum 12. Februar 2017 zu sehen. Anhand der dort präsentierten Fotowände, die nach Klimazonen gegliedert sind, kann man sich ein Bild von Standort und Konzeption des jeweiligen Projekts machen und anhand der auf Sockeln präsentierten Modelle die Wirkung im Raum nachvollziehen, wie die entsprechend konzipierten Gebäude in den heißesten und kältesten Ländern, in denen die BIG-Gruppe arbeitet, als ganzheitliche Ökosysteme umweltgerecht, wirtschaftlich und architektonisch funktionieren können.

Durch die computergesteuerten Verfahren von heute ist es möglich, die Architektur mit ihrem internationalen Stil der klassischen Moderne weiterzuentwickeln und speziellen Gegebenheiten anzupassen. Hat sich die Architektur in den letzten 100 Jahren noch damit beschäftigt, wie man dasselbe Gebäude mit Heizung, Licht und Klimaanlagen weltweit auf gleiche Weise bauen konnte, ist es nun das Anliegen von BIG, die Architektur auf die Bedürfnisse der Menschen im jeweiligen Land individuell zuzuschneiden. Denn schließlich, und damit beginnt die Ausstellung, gibt es in den verschiedenen Ländern bereits eine Architektur, die nicht von Architekten gemacht worden ist, sondern aus den klimatischen und kulturellen Bedingungen des Landes entstanden ist. Da sieht ein Gebäude im Jemen eben völlig anders aus als in Grönland, in Mali oder in China.

Ich selbst erinnere mich an heruntergekommene Betongebäude aus den 60er oder 70er Jahren des letzten Jahrhunderts mit ratternden Klimaanlagen in Westafrika, die gegen die Hitze und Feuchtigkeit völlig ungeeignet waren, wo Kakerlaken unter den geklebten Teppichböden hervorkrochen, während die Lehmbauten der Einheimischen sowie die Backsteinbauten der europäischen Missionare bestens auf natürliche Weise Durchlüftung, Kühle und Geborgenheit spendeten und sich außerdem in baulich gutem Zustand befanden.

Das bedeutet nun aber nicht, dass BIG im Jahre 2016 etwa jetzt nostalgisch wieder zu Lehmhütten oder Iglus zurückkehren wollte. BIG steht mit einem Fuß durchaus im Internationalen Stil, wenn es um Effizienz und Struktur geht. Dann wird auch heute das Beste daraus übernommen. Aber daneben beschäftigt sich die Gruppe mit dem gewachsenen Ort, seinen klimatischen Bedingungen und den neuen technischen und computergesteuerten Möglichkeiten. Da muss ein Gebäude bzw. die Architektur im heißen Sand oder auf kaltem Eis anders ausgerüstet sein als in klimatisch milderen Zonen.

Fliegender Teppich

Nehmen wir ein Beispiel der BIG-Architektur aus dem Nahen Osten. „Fliegender Teppich“ nennt sich ein Gebäude, das die Gruppe für die Zentrale eines einflussreichen Medienunternehmens in Doha / Katar entwickelt hat. Dort stehen zwei „Büroriegel“ einander gegenüber, eines für den Sender Al Jazeera und ein weiteres für einen regionalen Sender. Diese beiden Gebäude sollten einerseits eigenständig bleiben, andererseits jedoch auch kommunizieren. Außerdem sollten sie ein anderes Erscheinungsbild haben als westliche Sendeanstalten. BIG hat nun die beiden Gebäudeteile durch einen perforierten Baldachin aus Beton überzogen und miteinander verbunden, was ein arabisierend geometrisches Muster ergibt, in das ein Kabelnetz eingezogen ist, so dass der Gebäudekomplex eine eigenständige arabische Handschrift bekommt und außerdem auf dem Gelände eine Art Mikroklima entsteht. Denn zwischen den Gebäuden wurde eine Landschaft aus Außenterrassen geschaffen, die an arabische und schattenspendende Innenhöfe erinnern und auf denen sich die Mitarbeiter in Pausen aufhalten können. Die beiden Türme wurden so gedreht, dass der „Platz der Begegnung“ zwischen diesen beiden Medien vergrößert wurde und optisch zudem eine größere Spannung aufkommt. Der darüber schwebende perforierte Baldachin verschattet die Terrassen wie auch den Platz. Der dadurch entstehende Sonnenschutz minimiert die thermische Belastung des Gebäudes. Die auf dem Platz angelegten Wasserspiele sorgen in diesem heiß-trockenen Klima für eine Temperaturabsenkung. So etwas ist eben nur in Doha und nicht in Manhattan möglich.

Kai-Uwe Bergmann, einer der Partner von Bjarke Ingels, fügt hinzu: „Wir fanden es auch langweilig, Hochhäuser in die Wüste zu stellen. Denn dort ist die Lichteinstrahlung so stark, dass die Scheiben alle mit Sonnenfilter bezogen sind. Das hat den Effekt, dass es drinnen so dunkel ist, dass man gar nicht rausgucken kann und dort wieder künstlich Licht schaffen muss mit der Folge, dass die Lampen wiederum so heiß werden und man wieder Kühlanlagen braucht. Das stört dort zwar niemanden. Wir aber fanden die Verschwendung von Ressourcen eher verantwortungslos. Uns interessierte vielmehr, wie wir im Hinblick auf eine ressourcenärmere Zukunft ein bisschen schlauer werden könnten“.

Google V 2.0

Ebenso spannend, aber ganz anders gelagert ist auch BIGs Google-Projekt im Silicon Valley, was in der Ausstellung in Washington noch nicht gezeigt werden konnte, weil das Projekt damals noch nicht so weit fortgeschritten war. Dort baut BIG gerade drei Bürohäuser, gemeinsam mit Thomas Heatherwick. Anderthalb Jahre hat BIG allein daran gearbeitet, um einen Masterplan für die Stadt Mountain View und die zu erwartenden 30- bis 40-tausend zusätzlichen Arbeitsplätze zu erstellen, wozu eben auch Straßen, Schulen und Wohnungen gehören. Auch dies war schon eine extreme Herausforderung für das junge Team.

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Kai-Uwe Bergmann (BIG) erläutert die  Google-Zentrale V2.0 im Moutain View Campus / Silicon Valley

In der Zwischenzeit hatte schon der renommierte Norman Forster für Apple ein kreisrundes Gebäude für 12.000 Mitarbeiter in Cupertino entworfen, das aus der Luft wie ein Raumschiff aussehen und größer als das Pentagon in Washington sein würde. Dann das neue Facebook-Headquarter, das – für Frank Gehry untypisch – fast ganz ohne verdrehte Formen, wilde Schrägen oder glänzende Oberflächen auskam. Es soll im kalifornischen Menlo Park südlich von San Francisco das Zentrum der sozialen Macht von facebook – ein einzelner Raum für Tausende Menschen – darstellen, worüber der Spruch „Unsere Arbeit endet nie“ geschrieben steht. Zuckerbergs Wunsch war es, dass sich auf dem größten offenen Grundriss nicht nur alle 3.000 Mitarbeiter sehen können, sondern jeder das Arbeiten im Prozess erleben kann.

Der neue Unternehmenssitz von Google wiederum, bisher auf mehrere Gebäudekomplexe verteilt, soll jetzt mit allen Abteilungen des Konzerns an einem Standort zusammengefasst und mit seinen 30 Hektar Fläche in die Nachbarschaft von Mountain View integriert werden, sagt Ingels Kompagnon Kai-Uwe Bergmann. BIGs Antwort auf diese Herausforderung geht nun dahin, dass die Parkplätze erst einmal konsequent unter die Erde verlegt werden, damit es mehr Platz für Pflanzen und Bäume gibt. Auf dem von Rad- und Fußgängerwegen durchzogenen, grünen Campus sollen dann öffentliche Cafés und Geschäfte entstehen, so dass das Gelände auch für ganz normale Bürger attraktiv ist.

Für die digitalen Nomaden spannt sich über die Außen- und Arbeitsbereiche die „Kathedrale der Arbeit“, die nicht als permanentes Gebäude konzipiert ist, sondern als eine Art Zeltstadt aus Baldachinen in Leichtbauweise mit flexibler Raumstruktur.

Anders als Apple wollte Google nicht ein auf die Marke zugeschnittenes fertiges Produkt. Die vorgegebene Fragestellung lautete hier vielmehr: Wie komme ich von meinem Zuhause zur Arbeit? Wie kann ich von einem Büro zum anderen kommen? Wie funktioniert das Klima im Laufe eines Jahres? In wieweit ist das Gebäude bei Überschwemmungen betroffen? Das Interesse war also eher systematischer Art, was sicher damit zusammenhängt, dass Google eine Suchmaschine ist, die aber auch inzwischen Produkte wie Pixeltelefone produziert. Wer weiß, was noch folgt? Ausgehend von einer Software hat das Unternehmen inzwischen verschiedenste Systeme entwickelt. Hinter einer solch komplexen Ingenieursarbeit stehen dann in der Regel auch nicht nur einer, sondern zehn oder zwanzig Ingenieure, weil eine konstruktive Lösung nur noch durch Zusammenarbeit entstehen kann. So hatte Google bereits viermal versucht, mit Architekten ein Gebäude zu konzipieren, ist am Ende aber am Ego des jeweiligen Architekten gescheitert. Nun lässt der Konzern zwei Architekten wie BIG und Heatherwick gemeinsam an der Lösung arbeiten, um eine Arbeitsumgebung zu entwickeln, die so flexibel, intelligent und anpassungsfähig wie möglich ist, um auf ständig sich neu ergebende Kommunikationssituationen reagieren zu können.

Die Dryline – ein urbanes Projekt in Manhattan

In New York zu bauen, ist zwangsläufig an zahlreiche Bedingungen geknüpft. Über die besondere Hochhauspyramide in New York Via 57 West hatten wir bereits anlässlich des Hochhauspreises 2016 berichtet:

Ein Projekt völlig anderer Natur ist der von BIG konzipierte Hochwasserschutz für Manhattan, die „Dryline“. Denn immer wieder ist Manhattan von schweren Hurrikans bedroht wie zuletzt von Supersturm Sandy. So beschäftigte sich BIG nun damit, wie man in Manhattan einen 13 km langen Hochwasserschutz würde anlegen können, ohne eine Ufermauer zu bauen, und kam zu dem Schluss, dass dies durch eine perlenkettenartige Aneinanderreihung von Gemeinschaftseinrichtungen sowie Grünanlagen möglich wäre. An der Lower Eastside, einem dicht bebauten Wohngebiet mit hohem Anteil an Sozialwohnungen, gibt es äußerst wenig Grünflächen, so dass bei schweren Regenstürmen das Wasser nicht versickern kann. Da sollten also gezielt neue Vorschläge erarbeitet werden. Im East River Park wurde die Topografie angehoben, damit der Park vom Lärm des Highways abgeschirmt wird.

Auf der Highline, einer ehemaligen stillgelegten Bahnlinie, hat sich ein beliebter Spazierweg entwickelt, den BIG sich bei der Planung zunutze gemacht hat.

Die Ideen für den neu entstehenden Grüngürtel hatte BIG durch zahlreiche Gespräche und etwa 100 Treffen mit den Anwohnern an den verschiedensten Stellen entwickelt, um zu ermitteln, was ihnen fehlt. In einer Stadt wie New York setzt die Entwicklung eines solchen Konzepts außerdem eine konstruktive Zusammenarbeit mit 30 verschiedenen Ämtern voraus. So entstand bislang ein variables Konzept für 10 Meilen Küstenbefestigung und -sicherung als Park, vor allem durch Aufschüttung und Bepflanzung. Wichtig war hierbei auch, dass die Menschen den Park genießen können. Auch hier hat BIG sich einiges einfallen lassen. Die ersten zweieinhalb Meilen North East-side Manhattan mit Chinatown werden im Juni fertig sein, die nächsten Teilstrecken dann bis 2020.

Unmöglich ist es, in einem Artikel alle 23 ausgestellten Projekte angemessen zu beschreiben. Daher möchte ich hier also nur wenige Highlights streifen.

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Peter Cachola Schmal und Kai-Uwe Bergmann vor dem Modell des Vancouver House

In Vancouver entsteht an einem Autobahnkreuz auf einem günstigen, weil dreikantigen Grundstück mit winzigem Baufeld ein schlankes gläsernes Hochhaus, das sich in einer eleganten Drehung vom Lärm abwendet und gleichzeitig ein Gateway für die Stadt darstellt. Weil man oberhalb nicht mehr den Abstand zu den baulichen Gegebenheiten halten musste, konnte das „Vancouver House“ dort stärker in die Breite gebaut werden, und so konnten dort interessante Wohnlandschaften entstehen.

Auch in Frankfurt am Main ist man auf die Architektengruppe BIG aufmerksam geworden. Da wächst inzwischen auf dem Metzler-Areal der „Omniturm“ heran, ein 183 Meter hoher Turm mit Büros, der in der Mitte durch zwei skulptural anmutende Verschiebungen der Geschossflächen akzentuiert ist, wo erkennbar Wohnungen eingebaut werden. Schon jetzt trägt der „Frankfurt Shake“ den Spitznahmen „Hochhaus mit dem Hüftschwung“. Vielleicht könnte dieses Beispiel in Frankfurt Schule machen, wenn in Hochhäuserm künftig auch bezahlbarer Wohnraum entsteht.

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Im Entstehen begriffen: der Omniturm in Frankfurt

Im sogenannten„ZigZag-Haus“ in Basel wird über einem stillgelegten Güterbahnhof, einem dreistöckigen Transitlager, in das Ateliers ziehen werden, ein ZigZag-Gebäude auf das alte stabilen Betongebäude aufgesetzt. Diese spezielle Form maximiert für die Bewohner das einfallende Licht und lässt dort oben attraktive Wohnungen entstehen. Eine solche Um- und Zusatznutzung ist für die Stadt Basel absolute Novität.

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Das ZigZag-Haus in Basel

Erwähnenswert ist auch das im Herzen von Bordeaux am Ufer der Garonne entstehende „MÉCA“, die Maison de l’Économie Créative et de la Culture en Aquitaine, ein Kulturzentrum, das die regionalen Kulturzentren zu einem einzigen neuen zusammenführt: das Zentrum für zeitgenössische Kunst der Kunststiftung FRAC, welches große Ausstellungsräume benötigt, dann das Zentrum für Literatur und Film mit der Medienbibliothek ECLA sowie das Institut für Performing Arts, das um einen öffentlichen Raum, zum Zentrum von Bordeaux und zur Garonne hin geöffnet, arrangiert ist. Der FRAC-Teil wurde relativ lichtundurchlässig gestaltet, auch, um das Gebäude vor Sonneneinwirkung zu schützen, während das Gesamtgebäude so angelegt ist, dass es als Fenster zwischen Stadt und Fluss fungieren kann. Eine ringförmige Torarchitektur verbindet dort zudem das neue und das alte Bordeaux miteinander. Damit soll die Offenheit des Kulturzentrums für alle Bürger, Interessierten und Besucher von Bordeaux unterstrichen werden. Das MÉCA soll gewissermaßen ein neues Mekka für Kunstfans werden.

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Kulturzentrum MÉCA in Bordeaux

Natürlich wäre das entstehende Lego-Museum in der Stadt Billund, das nach dem Prinzip der Lego-Bauweise ohne Stützen auskommt und sicher ein neuer attraktiver Tummelplatz für Kinder werden wird, eine eigene Darstellung wert wie auch etliche andere BIG-Gebäude, so beispielsweise das spiralfömig in die Erde des Schweizer Jura gebaute Piguet-Haus, wo manufakturell die Schweizer Qualitätsuhren entstehen und eine Entsprechung im stützfreien, filigran anmutenden Bau mit gerundetem Glas finden. Wie auch immer, ein Besuch der Ausstellung im DAM ist auf jeden Fall anregend, nicht zuletzt als Mutmacher, als Impuls, nicht an scheinbar unüberwindlichen Gegebenheiten zu verzweifeln. Der Ideenreichtum der Architekten erscheint da unerschöpflich.

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Audemars Piguet – Maison des fondateurs im Schweizer Jura

Amagerforbraending und Superkilen in Kopenhagen

Zwei besonders bemerkenswerte Beispiele unter den ausgestellten Projekten kommen aus Ingels Heimatland Dänemark, eines aus dem reichen Süden von Kopenhagen und ein anderes aus dem armen Norden, dem Stadtteil Nørrebro., wo u.a. früher Bjarke Ingels Architekturbüro lag.

Was kann an einer Müllverbrennungsanlage in der dänischen Hauptstadt so bemerkenswert sein? Die dänische „Amagerforbraending“, Dänemarks größtes Müllheizkraftwerk, ist ein Unternehmen der Abfallverwertung zur Erzeugung von Elektrizität und Fernwärme, in einem Viertel, in dem rund 500.000 Menschen leben. „Amagerforbraending“ erscheint dort so absurd, dass seine architektonische Umsetzung heute umso überraschender wirkt. Genüsslich, ja fast poetisch, werden aus dem Schornstein große weiße Kringel in die Luft geblasen. Da hat nämlich BIG zusammen mit den Berliner Architekturkünstlern von realities:united und dem Raumfahrtunternehmen Copenhagen Suborbitals ein besonderes Zeichen gesetzt:

Die 25 Meter breiten Rauchkringel, die rund eine Million Mal pro Jahr aus der Anlage aufsteigen, bleiben bis zu sieben Minuten sichtbar und symbolisieren jeweils eine Tonne CO2, die bei der Müllverbrennung jeweils freigesetzt wird. Mit dieser neuen Art von stetiger Zeitmessung werden wir an unseren sorglosen Umgang mit dem Müll, den wir tagtäglich in der Stadt produzieren, gemahnt.

Aber Spaß muss eben auch sein. Und da ist BIG nie um einen Witz verlegen. Denn auf dieser Industrieanlage kann man vorbei an einem 100 Meter hohen Kübelgitter mit Grünpflanzen auf einer 1,5 km langen Piste rund um das Jahr Ski fahren. Außerdem hat man von dort aus einen einmaligen Blick auf Kopenhagens Wahrzeichen, auf die Kleine Meerjungfrau. Aber auch Aus- bzw. Einsichten ins Innere des Gebäudes werden gewährt. Durch ein großes Panoramafenster kann man der Fernwärmeerzeugung im Inneren zusehen, denn in der ansonsten flachen Stadt führt ein gläserner Aufzug am Schornstein entlang bis auf den Gipfel des Skibergs. Dabei hatte sich BIG die Erkenntnis zu eigen gemacht: Die Stadt hat zwar keine Berge, dafür aber Müllberge. Und während die „wahren“ Schneepisten Schwedens mehrere Stunden entfernt sind, liegt Schnee in Kopenhagen mehrere Monate lang auf der Straße. So also kann man das ganze Jahr hier Skifahren.

Im armen Nordwesten von Kopenhagen wiederum schiebt sich auf einer Länge von nahezu eineinhalb Kilometern der Landschaftspark „Superkilen“ durch ein international geprägtes Viertel, das als eines der sozial am meisten benachteiligten Gegenden Dänemarks gilt. Dort hat Ingels nach einer intensiven Befragung der meist eingewanderten Bevölkerung, die hier lebt, zusammen mit der dänischen Künstlergruppe Superflex einen neuartigen öffentlichen Raum geschaffen. Die Menschen verschiedener Herkunft haben zum Beispiel Bänke aus ihren Heimatländern mitgebracht und aufgestellt. Entstanden ist daraus eine bizarre Kunstlandschaft aus Objekten, welche die Zugewanderten an ihre alte Heimat erinnern. Konzeptuell wurde der Landschaftspark in drei Zonen und die Farben Grün, Schwarz und Rot gegliedert, woraus ein „Roter Platz“, ein „Schwarzmarkt“ und ein „Grüner Park“ entstand.

Dorthinein mischen sich nun außerdem Werbe-Stelen für unbekannte Produkte und arabische Zahnärzte, ein marokkanischer Brunnen, eine schwarze Oktopus-Rutsche, knallrote englische Mülleimer, gelbe Vogelkästchen, eine weiße Elefanten-Rutsche, ein Boxring, typisch südeuropäische Schachbrett-Spiele, Bänke unterm Apfelbaum und ein Arsenal unterschiedlicher Lampen, die eine Art ethnischen Heimatpark entstehen lassen. Die Bevölkerung hat damit einen Zipfel Heimat wiedergefunden in einem Viertel, das nicht nur heruntergekommen war, sondern wo auch starke Aggressionen ausgetragen wurden. Die Neugestaltung hat zweifellos zur Befriedung beigetragen, was man in einem Video auf der Bildschirmwand verfolgen kann.

Mit diesen Entwürfen ist die Gruppe BIG der eigenen Vision, unsere Städte und Gebäude als von Menschen geschaffene Ökosysteme zu gestalten, sicher schon ein Stückweit näher gekommen. Natürlich wird Architektur auch von anderen Aspekten beeinflusst wie von Programm, Funktion, Bürokratie, Ökonomie, Technologie, Gewerkschaften, Politik, Materialien, Kultur, Denkmalschutz, öffentlicher Meinung, Logistik etc. Aber dessen ist sich die Gruppe BIG auch bewusst. Mit den Gestaltungsprinzipien des Verschiebens, Verdrehens, Verkantens und Auffächerns sowie der Einbeziehung der sozialen und kommunikativen Elemente lassen sich auf jeden Fall neue originelle Lösungen finden, die mancher Stadt ein Vorbild sein könnten, indem sie auch jenseits von Geschäftszeiten lebendiger würden.

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Blick auf den Serpentinen-Pavillon für Großbritannien „Offener Reißverschluss“ aus Glasfaserelementen (im Hintergrund Modell des Omniturm)

Der Architekt

Bjarke Ingels wurde am 2. Oktober 1974 in Kopenhagen geboren. Nach seiner Architektenausbildung in Kopenhagen und Barcelona arbeitete er von 1998 bis 2001 in Rotterdam im Office for Metropolitan Architecture (OMA) von Rem Koolhaas. 2001 war er gemeinsam mit Julien de Smedt Mitbegründer des Architekturbüros PLOT. Zusammen entwarfen sie die „VM Houses“ in Kopenhagen. Auf der Architektur-Biennale in Venedig erhielten sie den Goldenen Löwen. 2006 wurde Bjarke Ingels Gründer und Namensgeber von BIG, der Bjarke Ingels Group. 2011 öffnete er eine Niederlassung in New York für die Realisierung des Wohnkomplexes „W57“ in Manhattan und weiterer Projekte in den USA. Seit 2013 unterhält BIG auch ein Büro in Peking.

Der 712 Seiten starke und durchgehend bebilderte Ausstellungskatalog „Bjarke Ingels Group: Hot to cold. An Odyssey of Architectural Adaptation“ ist 2015 im Taschen Verlag auf Englisch erschienen. Empfehlenswert ist der Kurzführer durch die DAM-Schau mit einer deutschen Übersetzung der Bildunterschriften.

Bjarke Ingels Group (BIG): HOT TO COLD, Deutsches Architekturmuseum Frankfurt, bis 12. Februar 2017

Abgebildete Modelle © Bjarke Ingels Group (BIG); Fotos: Petra Kammann

→ Der Internationale Hochhaus-Preis 2016 und innovative Entwicklungen im Hochhausbau

 

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