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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Kommen und Gehen – von Courbet bis Kirkeby“ im Museum Giersch (1)

Künstleraufenthalte in der Region Frankfurt/RheinMain aufgespürt

Von Hans-Bernd Heier

„Transit“ ist der derzeitige Themenschwerpunkt des Kulturfonds Frankfurt RheinMain. Als der Kulturfonds im Sommer 2015 das umfangreiche Programm startete, „war noch nicht abzusehen, welche gesellschaftliche Bedeutung es durch die aktuelle Situation der Flüchtlingsströme nach Deutschland bekommen würde“, so Geschäftsführer Helmut Müller. „Aber ‚Transit‘ ist mehr als Tagesaktualität, es spielt schon seit jeher eine wichtige Rolle und ist ein Begriff, der die Region unter vielen Gesichtspunkten charakterisiert“.  Ständige Zu- und Abwanderung prägten schon immer das Rhein-Main-Gebiet. Da ist es nicht weiter erstaunlich, dass auch viele Künstlerinnen und Künstler kamen und gingen. Sie verbrachten hier eine zeitlich begrenzte Lebens- und Schaffensphase, die von wenigen Wochen bis zu mehreren Jahrzehnten dauern konnte.

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Armin Stern „Eschenheimer Turm, 1920er Jahre“, Öl auf Leinwand, 65,5 x 56 cm; Jüdisches Museum Frankfurt; Foto: Herbert Fischer, Frankfurt

Unter dem Titel „Kommen und Gehen – von Courbet bis Kirkeby.  Künstleraufenthalte in der Region Frankfurt/RheinMain“ beleuchtet das  Museum Giersch der Goethe-Universität dieses facettenreiche Thema. An über 50 ausgewählten Künstlerpersönlichkeiten von der Mitte des 19. bis Ende des 20. Jahrhunderts thematisiert die Ausstellung die spannenden Wechselbeziehungen zwischen den Kunstschaffenden und ihrer temporären Wahlheimat. Dieser Zeitraum umfasst die Konfrontation der hiesigen Kunstszene mit der Moderne – angefangen von Gustave Courbet bis hin zu Per Kirkeby. Mit welchen Erwartungen kamen Künstlerinnen und Künstler in die Region zwischen Aschaffenburg, Darmstadt, Mainz und Wiesbaden? Was machte diese Kulturlandschaft so attraktiv? Was brachten sie an künstlerischem Potential mit, wie wirkten sie vor Ort? Und nicht zuletzt: Weshalb gingen sie wieder fort und welche Spuren hinterließen sie?“

Mehr oder weniger deutliche Spuren hinterließen sie alle. Die vielfältige, lebendige Kunstszene der Kulturregion Frankfurt/RheinMain verdankt sich somit auch den zahlreichen Impulsen der migrierenden Künstlerinnen und Künstler. Deren Wege im Detail nachzuzeichnen war allerdings nicht immer ganz einfach. Denn ihr temporärer Aufenthalt und ihr Wirken in der hiesigen Region waren häufig nicht so umfangreich dokumentiert wie beispielsweise bei Hans Thoma, Wilhelm Trübner oder Max Beckmann. Insbesondere bei den weniger bekannten oder den „verschollenen“ Künstlern war intensive wissenschaftliche Forschungsarbeit erforderlich. „Dabei fiel im Zuge der Recherche auf, zu wie vielen Künstlerinnen und Künstlern monographische Beiträge als Basis weiterführender Studien nach wie vor fehlen“, schreibt Museumsleiter Manfred Großkinsky in dem profunden Begleitkatalog, der auch über die persönlichen Gründe informiert, warum die Künstler hierher kamen.

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Hermann Lismann „Wanderer“, 1920, Öl auf Pappe, 70,3 x 99,4 cm; Kunsthandel Widder, Wien; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt a. M.

Vor drei Jahren präsentierte das Museum Giersch die Schau „Faszination Fremde -Bilder aus Europa, dem Orient und der neuen Welt“. Von der Reiselust und der Suche nach spektakulären Bildmotiven ließen sich auch Künstler dieser Region anstecken. Der Fokus lag damals auf dem Fortgehen und Zurückkommen. Mit der Absicht, ihr Bildrepertoire verkaufsfördernd zu erweitern, unternahmen sie bisweilen beschwerliche Exkursionen in die nähere oder weitere Fremde, um andere Kulturen und Menschen, die dortige Fauna und Flora sowie eindrucksvolle Naturlandschaften kennenzulernen oder sich von ungewohnten Lichtverhältnissen beeindrucken zu lassen. Zurück kamen sie mit reizvollen Landschafts- und Genrebildern, Porträts und auch Kunstfotos.

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Josef Eberz „Südliche Landschaft“, 1918 , Öl auf Leinwand, 110,9 x 80,8 cm; Privatsammlung; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt a. M.

Die aktuelle Präsentation  im Museum Giersch bietet einen exzellenten Überblick über das Schaffen der Künstlerinnen und Künstler, die ab der Mitte des 19. bis Ende des 20. Jahrhunderts ihre vorübergehende Wahlheimat in Rhein-Main fanden. Beeindruckend ist die Vielfalt ihrer Arbeiten. Trotz der Verschiedenartigkeit ihrer individuellen Biographien lassen sich Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Beweggründe für den Ortswechsel und der strukturellen Rahmenbedingungen des Standortes herausarbeiten. Die Ausstellung, die noch bis zum bis 22. Januar 2017 in dem imposanten neoklassizistischen Gebäude am Schaumainkai zu sehen ist, trägt diesen verschiedenen Aspekten anhand von Fallbeispielen Rechnung. Neben Themenräumen widmet die klar strukturierte Schau den prägenden Künstlerpersönlichkeiten Gustave Courbet, Wilhelm Trübner und Max Beckmann monographische Räume – ergänzt um Werke einiger von ihnen beeinflusster Künstlerinnen und Künstler.

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Gustave Courbet „Die Quelle der Liso“, 1864, Öl auf Leinwand, 60,8 x 50 cm; Privatbesitz; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt a. M.

Eine große Bereicherung für das Kunstleben der Region – für Großkinsky gar „ein historischer Einschnitt“ – war der temporäre Aufenthalt des Franzosen Gustave Courbet, der von August 1858 bis Februar 1859 in Frankfurt blieb. Seine Malerei  markierte für die hiesige Kunstszene Mitte des 19. Jahrhunderts die Auseinandersetzung mit den neuesten Tendenzen der Moderne. Sein mit dem Schlagwort „Realismus“ belegtes Schaffen konfrontierte das Publikum mit ungewohnten, eigenwilligen Bildlösungen. Einzelne Gemälde waren bereits  in Frankfurter Ausstellungen in den 1853er Jahren zu sehen.

Der bekennende Sozialist präsentierte wirklichkeitsnahe Szenen aus dem Alltagsleben der Landbevölkerung und der Tagelöhner, großformatige Werke mit der Zurschaustellung der Armut und menschlichen Isolation. An dieser Thematik und an der unkonventionellen Ausführung mit dunkeltonigem Kolorit und grober Malweise entzündeten sich heftige Diskussionen. Seinen Arbeiten widmete die Schirn Kunsthalle Ende 2014/Anfang 2015 unter dem Titel „Ein Traum der Moderne“ eine großartige Einzelausstellung.

Einige Frankfurter Künstler wie Karl Peter Burnitz, Victor Müller, Angilbert Göbel, Anton Burger und Otto Scholderer, die Courbet persönlich kannten, ließen sich motivisch wie maltechnisch von ihm anregen. Nach einem Zwist mit dem Landschafts- und Genremaler Jakob Becker über die Ausführung landschaftlicher Details musste Courbet das ihm vom Städelschen Kunstinstitut zur Verfügung gestellte Atelier im Deutschherrenhaus räumen. Das veranlasste den selbstbewussten und in künstlerischen Fragen kompromisslosen Franzosen Frankfurt zu verlassen. In der Schau sind drei ausdrucksstarke Ölgemälde Courbets zu bewundern.

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Bei der Pressekonferenz informieren (v.l.n.r.) Christine Karmann, Museumsleiter Manfred Großkinsky und Ko-Kuratorin Susanne Wartenberg über die facettenreiche Schau; Foto: Hans-Bernd Heier

Etwa gleichzeitig mit Gustave Courbets Aufenthalt in Frankfurt am Main 1858/59 formierte sich im nahegelegenen Kronberg im Taunus – dem Beispiel der Schule von Barbizon folgend – eine Malerkolonie mit den Frankfurter Malern Anton Burger und Jakob Fürchtegott Dielmann als der künstlerischen „Keimzelle“. „Der offiziellen, idealistischen Malerei überdrüssig, ließen sie sich vom tatsächlichen Alltag der Landbevölkerung und von der Naturnähe inspirieren. Ihrem Beispiel folgten zunehmend auch auswärtige Kollegen, beispielsweise aus Düsseldorf, Hamburg, Karlsruhe und München, die für sich den Taunus und den Odenwald als bildwürdige Motive entdeckten“, betont Großkinsky.

Mit Wilhelm Trübner kam 1896 der Impressionismus nach Frankfurt am Main. Sein am Städelschen Kunstinstitut angemieteter Arbeitsraum entwickelte sich zum Sammelpunkt einer impressionistisch orientierten Künstlerschaft. Durch seine Privatschule, der sogenannten „Trübner-Schule“, änderte sich schlagartig die Ausbildungssituation für Kunststudentinnen, die bis dahin nur einen eingeschränkten Unterricht besuchen durften. Unter Trübner erreichten diese ein bemerkenswertes Niveau, wie einige der im Giersch-Museum ausgestellten Arbeiten von Eugenie Bandell, Else Luthmer und Trübners Ehefrau Alice, geborene Auerbach, zeigen.

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Wilhelm Trübner “Ansicht von Kronberg, um 1896“, Öl auf Leinwand, 62 x 76 cm; Stiftung Kronberger Malerkolonie, © Museumsgesellschaft Kronberg e.V.

Für Trübners Arbeiten sind das unmittelbare Naturstudium im Sinne der Freilichtmalerei sowie eine spontane und flüssige Umsetzung des Gesehenen auf die Leinwand charakteristisch. Zu seinem Unterricht gehörten obligatorisch – auch für die Schülerinnen – Akt- und Tierstudien im Städelgarten, ebenso wie regelmäßige Ausflüge in den Odenwald. „Stilbildend wirkte Trübners unverwechselbare, markante Handschrift, die mit flüssig geführten, energisch tektonischen Farbbahnen eine ganze Künstlergeneration beeinflusste“, erläutert Ko-Kuratorin Susanne Wartenberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums Giersch. Mit vier charakteristischen Ölgemälden ist  er in der Schau vertreten. Noch lange nach seinem Weggang 1903 als Professor an die Großherzogliche Kunstakademie in Karlsruhe lassen sich die Spuren seiner künstlerischen Tätigkeit in Frankfurt nachweisen.

In Kronberg ansässige Maler wie Ferdinand Brütt und Robert Hoffmann bildeten gemeinsam mit den Frankfurter Kollegen Rudolf Gudden und Wilhelm Trübner 1902 den „Frankfurt-Cronberger-Künstlerbund“. Zu dieser ersten Frankfurter Sezession sollte auch Jakob Nussbaum 1907 hinzustoßen.

Einen dritten monographischen Raum widmet die sehenswerte Schau dem Maler Max Beckmann und einigen seiner Schülerinnen und Schülern. Gut 17 Jahre lebte und arbeitete Max Beckmann in der Stadt am Main, in die er im Herbst 1915 nach kriegsbedingtem Zusammenbruch gekommen war. Hier fand er zunächst Aufnahme bei seinem Studienfreund Ugi Battenberg. In den folgenden Jahren war er intensiv künstlerisch tätig, entwickelte seinen ganz eigenen, unverkennbaren Stil. Erfolgreich tat er sich zudem mit Ausstellungen und Verkäufen hervor. Unter dem Titel „Max Beckmann kommt nach Frankfurt“ versammelte das Institut für Stadtgeschichte im Herbst letzten Jahres 75 erlesene, hochqualitative Druckgraphiken.

1925 wurde der Ausnahmekünstler zum Leiter eines Meisterateliers im Bereich der freien Malerei der Städelschule berufen. Acht Jahre später wurde Beckmann aufgrund der Anfeindungen der nationalsozialistischen Machthaber aus dem Amt entlassen, ebenso wie Fritz Wichert und Willi Baumeister. Max Beckmann verließ infolgedessen Frankfurt in Richtung Berlin, bevor er 1937 ins Exil nach Amsterdam ging.

„Kommen und Gehen – von Courbet bis Kirkeby. Künstleraufenthalte in der Region Frankfurt/RheinMain“, Museum Giersch der Goethe-Universität, bis 22. Januar 2017

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Giersch der Goethe-Universität

→ „Kommen und Gehen – von Courbet bis Kirkeby“ im Museum Giersch (2)


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