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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das Kunstwerk der Woche (17)

 

Die Arbeit einer Künstlerin oder eines Künstlers
aus den Atelierhäusern in Frankfurt am Main

Sascha Boldt, AtelierFrankfurt

Sascha Boldt- Reality Check 2-500

Reality Check 2 (higher and higher), 2015, Mixed Media auf Leinwand, 115 x 85 cm; Foto: Sascha Boldt

Von Erhard Metz

Es ist gewiss kein „Wimmelbild“, dieses pop-artige, für seinen schier unglaublichen und unerschöpflichen Detailreichtum auffallende Werk, und bei aller sorgfältig inszenierter „Unordnung“ ist es von kompositorischer Stringenz. Der vielfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnete Absolvent der Kunstakademie Düsseldorf mit „Akademiebrief mit Ehrentitel“ versetzt mit seinem Bild aus der 2014 begonnenen Reihe „Hybrid Constructions“ – Arbeiten in Mischtechnik auf Leinwand – den Betrachter in ein fantasievolles Panoptikum von Gegenständen aus einer globalisierten Welt, deren Uhren, wie man sieht, zugleich die zweite, dritte und neunte Stunde anzeigen. Da fehlen weder Ernõ Rubiks Zauberwürfel noch ein reich „gepatchworktes“ marokkanisches Ledersitzkissen. Nicht ohne eine Portion feinen Humors geschieht dies alles – der Schlauch der Fussluftpumpe scheint das dicke Tau aufzublasen, das sich nach Art eines indischen Fakir-Seiltricks in die Höhe windet und das – hol ’s der Teufel – auch noch einen erleuchteten Lampenschirm trägt. Und auch Tiere fehlen bei Sascha Boldt selbstverständlich nicht! Da schaut ein klitzekleines Hündchen dem etwas grösseren zu, dem der Luftstrom eines Haarföns – sogar die Marke, ein „Dry Care“ aus dem Hause Trisa electronics kann man erkennen – arg kräftig um das Näschen weht!

Sehr vieles nun gäbe es noch zu sehen, zu erzählen, Geschichten zu lesen und andere zu spinnen – von der seilspringenden jungen Frau und der bei Betreten mit Sicherheit knarrenden hölzernen Treppe, eine jede Stufe mit allerlei Sächelchen belegt, war ja noch gar nicht die Rede – aber das soll dem Betrachter überlassen bleiben, denn Sascha Boldt möchte uns etwas zu dem sehr aufwändigen Herstellungsprozess seiner zwei- und dreidimensionalen Collagen erzählen:

„Ausgangspunkt der dargestellten Motive sind archivierte Bildquellen aus den verschiedensten Medien und Genres, die hauptsächlich aus dem Internet, Bildbänden, Zeitschriften oder eigenen Fotografien zusammengetragen wurden. In einem mehrschichtigem Verfahren werden diese verschiedenen Quellen dann miteinander kombiniert und überarbeitet. Die Anhäufung der Motive ist hierbei ein stark ausgeprägtes Grundelement und zieht sich durch mein gesamtes Werk, weswegen ich diese Vorgehensweise auch ‚Akkumulatismus‘, ‚Akkumulationismus‘ oder ‚Accumulation Pop‘ (je nach Tageszeit) nenne. ‚Hybridismus‘ ist ein weiterer Begriff, der die Bildprinzipien treffend beschreibt. Die Hauptkomposition entwickelt sich aus der Gewichtung der einzelnen erzählerischen Elemente im Bildraum. Diese sollen dem Betrachter quasi wie Türen den Einstieg in Assoziationszusammenhänge bieten, durch die sich eine mögliche, aber nicht unbedingt festgeschriebene Geschichte erschliessen läßt. Versatzstückhaft kann den einzelnen Elementen inhaltlich gefolgt werden.

Als Schöpfer dieser Kompositionen habe ich eine für mich klare Bedeutungsebene der einzelnen Bildinhalte, die jedoch changiert und in der Schöpfungsphase zusätzlich mit einer gewissen Prise an Ungewissheit oder Irritation angereichert wird, damit das Bild weiterhin frisch, offen und interrogativ herausfordernd auf mich und die Betrachter wirkt.

Geprägt durch das Sampling und die Videoclipkultur von Musikfernsehsendern wie MTV in den 80er und 90er Jahren sind die Bilder wie angehäufte Stills einer vielfältigen Geschichte zu verstehen, in denen Raum und Zeit aufgelöst werden. Die dargestellten Inhalte stehen nicht zwangsläufig in einem direkten räumlichen oder inhaltlichen Zusammenhang miteinander, sondern treffen in einem Bildraum aufeinander, der eine eigene Entität bildet und der Entfaltung der beschriebenen Dynamik dienen soll. Dieser Bildraum wird auf verschiedenen Ebenen geöffnet und neu zusammengefügt. Die hybride Verschmelzung verschiedener künstlerischer Techniken verdichtet sich in diesen Werken zu einem Endergebnis, das in seiner finalen Erscheinungsform als Leinwand auf einem Keilrahmen erscheint. Die wesentlichen Motive werden zunächst im Computer arrangiert und vorbereitet. Ausgedruckt auf Papier überführe ich diese als Ausschnitte dann haptisch in den realen Raum, um sie daraufhin mit unterschiedlichen Überschneidungen, Lichteinfällen oder anderen Collageelementen oder Gegenständen zu arrangieren und schliesslich zu fotografieren. Diese Fotos werden dann wieder in den Computer übertragen. Hierbei ensteht eine irritierende Dopplung – eine Abbildung der Abbildung sozusagen mit eingearbeiteter radialer Unschärfe.

In einem nächsten Schritt kommt nun eine weitere Ebene durch das Malen mit dem Lichtstift auf der Bildschirmoberfläche hinzu, um die Verschachtelung erneut komplexer zu gestalten. Modular und spielerisch werden die vorherigen Schritte wiederholt und erneut eingeflochten, bis das Bild soweit vorbereitet ist, um es auf Leinwand in seinem endgültigen Format auszudrucken. Anschliessend wird es auf einem Keilrahmen aufgezogen und mit Accryl- oder Ölfarbe, weiteren Collageelementen oder mitunter realen Gegenständen überarbeitet und finalisiert.

Die Verknüpfung und Herausarbeitung der verschiedenen Realitätsebenen zwischen digital und analog als Grundprinzip meiner Kunst ist mir hierbei sehr wichtig, weil unsere Gegenwart zunehmend durch die Parallelexistenz dieses Wechselspieles geprägt wird und ich eine Spiegelung dieser Zusammenhänge gerade in der Kunst als zeitgemäss und wichtig empfinde. Der Titel der Werkserie ‚Hybrid Constructions‘ unterstreicht das Wechselspiel dieser verschiedenen Realitätsebenen als hybride Mischform der eingebrachten Techniken und formalen Zusammenhänge.“

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