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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Renate Sautermeister: „Skripturen“ und „Farbsuggestionen“

Zwei Ausstellungen in der Frankfurter Galerie DAS BILDERHAUS und im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

Von Brigitta Amalia Gonser

Das Œuvre der renommierten Frankfurter Künstlerin Renate Sautermeister (1937- 2012) umfasst Malerei, Zeichnungen, Radierungen, Objekte, Fotografie, Bühnenbilder. Sie arbeitete gattungsübergreifend, auch wenn ihr Ausgangsstudium Freie Graphik war – und das sowohl an der Kunstschule in Bonndorf, wo sie „das Zeichnen von Grund auf gelernt hat“, als auch an der Werkkunstschule in Wiesbaden, wovon nicht nur ihre frühen informellen Zeichnungen, sondern die späteren Zeichnungen und Radierungen zeugen. Mehr noch: Ihr Duktus bewahrt auch in der Malerei graphische Strukturen.

Daher zeigt die Ausstellung „Skripturen“ in der Galerie Das Bilderhaus eine repräsentative Auswahl des graphischen Gesamtwerks Renate Sautermeisters: von frühen figurativen Radierungen über Lithographien mit surrealen Grubenlandschaften zu den ideatischen Formenspielen ihrer späten Radierungen und Treppen-Skizzen, die Graphisches und Malerisches vereinen. Die Zeichnung war für sie stets eine sehr persönliche, intime und geistige Angelegenheit, die sie „Skriptur“ nannte.

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Schöner Wohnen, bemalte Objekte, 1969, modifizierter Gips auf Maschendraht, Foto © Nikolaus Jungwirth

Nach dem Studium teilte sich Renate Sautermeister mit Nikolaus Jungwirth ein Atelier in Wiesbaden. Aus dieser bewegten Zeit der 1960er Jahre stammen die stilistisch von der Pop-Art geprägten Farbradierungen und Objekte, wie man sie im Klavierraum der Galerie sehen kann.

Mit dem 1. Kölner Kunstmarkt 1967 explodierte die Nachfrage nach amerikanischer Pop-Art in Deutschland. Deutsche Galerien rissen sich um die amerikanischen Künstler. Pop- und Op-Art dominierten auch die 4. documenta in Kassel von 1968. Die 1960er Jahre wurden zur Ära der Popkultur, Alltagsgegenstände zur Kunst.

Für die Künstler aus Düsseldorf, Berlin, München und Frankfurt kam die neue gegenständliche Kunst aus Amerika und England wie ein Schock, auf den sie augenblicklich antworten wollten. German Pop erzählt von der Sehnsucht, die graue Nachkriegszeit hinter sich zu lassen, von dem Bedürfnis, Humor, Ironie und Leichtigkeit in die Kunst zu bringen, und von einer rasanten Politisierung im Sinne der Gesellschaftskritik der 68er-Bewegung, die dann nach ganz anderen Bildern verlangte.

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(v.l.) Gefahr I, 1969, Radierung, 42 x 33 cm; Notwehr, 1969, Radierung, 50 x 40 cm; Gefahr II, 1969, Radierung, 42 x 33 cm, Fotos © Peter Grün

Sautermeisters Farbradierungen „Bedrohung“ und „Großer Bubble Gum“ sowie „Herrschaft der Füße“, „Gewalt I und II“ und „Notwehr“, die Hände oder Füße in verschiedenen Positionen und Situationen darstellen, zeugen davon ebenso wie ihr von pinkfarbenen Fingern gehaltener, giftgrüner Gipsfuß mit Aschenbecheraufsatz aus ihrer poppigen Objektserie „Schöner Wohnen“ .

Die danach von Renate Sautermeister bis Mitte der 1980er Jahre verfolgten surrealistischen Gestaltungsprinzipien machen künstlerisch und stilistisch unmittelbar Erlebtes in ihrer Malerei offenbar. So entstanden ihre Tatorte apokalyptischen Endzeitgeschehens, ihre melancholischen Vanitasbilder.

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Stühle draußen I und II, 1979, Lithografien, 31 x 25 cm, Fotos © Peter Grün

Dazu sagt Sautermeister: „Frühere Bildmotive waren – ab den 1970er Jahren – verlassene, menschenleere Landschaften und Räume, surreale, akribisch-karge Endzeitsituationen, die Stille über den Orten, wenn Gras darüber gewachsen ist, Bilder der Melancholie des Vergänglichen.“

Im kleinen Flur finden wir dazu die „Verwüstete Landschaft“-Zeichnungen mit Gruben und die Farblithographien der riesigen ramponierten Stühle in der Steinwüste sowie im mittleren Raum dunkle, gewaltige großformatige Zeichnungen wie das Triptychon „Angriffe“ von 1984. Schwarze Akzente werden auch in anderen Werken wiederkehren.

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Angriffe, Triptychon, 1984, Grafit/Kreide/Gouache auf Papier, 150 x 220 cm, Foto © Walter Breitinger

Im Kontrast dazu stehen dann ihre späten farbprächtigen symbolischen Treppenzeichnungen von 2010, die jeweils zwei dynamische Formen miteinander konfrontieren, wobei sie wie auch die Radierungen der „Spiele“ formal als ideatische Skizzen ihrer späteren abstrakten Malerei zu sehen sind.

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↑↓ Treppe I und II, 2010, Zeichnungen, 51 x 75 cm, Fotos © Walter Breitinger

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Weltanschaulich und ästhetisch besteht eine Affinität der Künstlerin zu der Malerei von Pablo Picasso, Francis Bacon und Emil Schumacher, sowie zu der Literatur von Samuel Beckett, Franz Kafka, Bertolt Brecht und der Philosophie des 1995 in Paris verstorbenen rumänischen Existenzialisten Emil Cioran. Ihr als Fanal aufleuchtendes Schriftbild von 1933 „Bis niemand von ihnen mehr da ist“, in Acrylfarben und Kreiden auf Karton, das im Eingangsbereich einem Menetekel gleich auf der Wand prangt und Tod, Trauer und Trauerbewältigung assoziiert, vertiefte Renate Sautermeister 1995 in der Radierung in ihrer Graffiti-Serie mit den das ganze Bildformat füllenden philosophischen Texten und Aphorismen von Parmenides, Hegel und Emil Cioran.

Renate Sautermeister entwickelte eine Art mystischen Glauben an das, was sie erfüllen musste, an ihre Berufung: Denn „malen, malen, nochmals malen und übers Leben nachdenken“ – im Bewusstsein seiner Endlichkeit – das waren seit 1972 ihre Lieblingsbeschäftigungen in Frankfurt am Main.

Ab Mitte der 1980er Jahre weist Renate Sautermeisters künstlerisches Schaffen, bei aller Eigenständigkeit, eine stilistische Zäsur auf. Es ist der Übergang von surrealer, narrativer, figurativer Darstellung zu expressivem Mal-Gestus mit gedanklich abstrahierten Formen, gefasst von graphischen Skripturen. Daraus entwickelte die Künstlerin ihre grandiose freie Figuration, die auch die retrospektive Ausstellung „Farbsuggestionen“ mit Energie zum Schwingen bringt.

Im Foyer des Karmeliterklosters im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte sehen wir bis 2017 eine repräsentative Auswahl des späteren abstrakten malerischen Schaffens der Jahre 1990 bis 2010 von Renate Sautermeister, wobei bei der Hängung zeitnah entstandene, miteinander kommunizierende Werke als Pendants einander zugeordnet wurden.

Polychrome Energiefelder und ein tachistisch dynamischer Aufbau der Bildkompositionen, potenziert durch dichte schwarze Schraffuren, charakterisieren Renate Sautermeisters malerisch-gestische Figurationen der letzten zwei Jahrzehnte. Schwungvoll variiert sie von feinen Farbvaleurs zu komplementären Farbakzenten und gezielt setzt sie im kontrastreichen Dialog dazu das Absolute sowie den konnotativen Symbolgehalt der Farbe Schwarz ein. Farben können die verschiedensten Reaktionen und Assoziationen im Menschen auslösen. Und die Betrachter sind stets aufs Neue fasziniert von Sautermeisters Farbsuggestionen.

Es sind seismografische Reaktionen auf ihre Umwelt und auf innere Befindlichkeiten. Aufbrüche und Umbrüche sind ein wichtiger Impuls für ihr Schaffen. Anregungen bot ihr stets auch die Stadt, das Leben in Steinen, die Unbehaustheit. Dagegen stand die Sehnsucht nach Natur, Sand, Gras, nach „heiler Welt“.

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Von fernen Zeichen, Quadriptychon, 1992, Acryl, Graphit, Kreiden auf Karton, 165 x 300 cm, Foto © Walter Breitinger

Starten wir auf dem oberen Stockwerk mit dem 1992 nach Ende der obsessiven medialen Eindrücke vom zweiten Golfkrieg entstandenen monumentalen Quadriptychon „Von fernen Zeichen“, in dem sich über vier Tafeln ein aggressives schwarzgraues Chaos aufbäumt, aus dem aber zum Horizont hin weiße Formen aufsteigen und ein zartes Grün sprießt, während die beiden ihm vorausgehenden schmalen Hochformate „Zeichen I und II“ im eisigen Schwarzgraublau verharren und sich noch kein Hoffnungsschimmer zeigt. Schwarze Akzente werden als bedrohliche Knäuel auch in anderen Werken wiederkehren. Dabei ist Sautermeister aber auf der Suche nach dem mentalen Feld des metaphysischen Schwarz, nach dem, was der Maler Pierre Soulages „Outrenoir“, das jenseitige Schwarz, nennt. Wie er, geht sie auch davon aus, dass Malerei ein Feld ist, in dem sich Formen organisieren und wieder auflösen.

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(v.l.) o.T., 1990, Acryl, Graphit, Kreiden auf Karton, 165 x 75 cm; o.T., 1990, Acryl, Graphit, Kreiden auf Karton, 165 x 75 cm; o.T., 1991, Acryl, Graphit, Kreiden auf Karton, 165 x 75 cm, Fotos © Walter Breitinger

Was Sautermeisters künstlerische Techniken angeht, vereinen viele ihrer Bilder malerische, zeichnerische und graphische Elemente. Auf ein einziges Medium hat sie sich ohnehin nie beschränkt. Hier sind es meistens Acrylfarben, Graphit und Kreiden auf Karton.

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(v.l.) Komet I, 1996, Acryl, Graphit, Kreiden auf Karton, 165 x 75 cm; Komet II, 1996, Acryl, Graphit, Kreiden auf Karton, 165 x 75 cm, Fotos © Walter Breitinger

Dabei entwickelt Renate Sautermeister auf schmalen Hochformaten ihre expressive Abstraktion der menschlichen Figur zur dynamisch assoziativen Farb-Silhouette, die die Empathie des Betrachters anregt, weil schwarze graphische Strukturen im Kontrast zur Farbe und zum Farbauftrag stehen, durch den jeweils zwei farblich kontrastierende Formen innerhalb der Gestalt dialogierend konfrontiert und integriert werden. Vielfältige Assoziationen von Beziehungen stellen sich ein: zwischenmenschliche, gesellschaftliche, natürlich-organische.

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Ereignis Juli, 2009, Acryl, Graphit, Kreiden auf Karton, 75 x 165 cm, Foto © Walter Breitinger

Doch dann explodiert in den beiden komplementären Treppenbilder im Parterre ein jeweils unterschiedlich strukturierter farblicher Dreiklang: von Rot, Gelb, Grün. Wobei Rot als warme Farbe für Feuer, aber auch für Krieg und Gewalt steht, während Grün die Fruchtbarkeit und den Frieden symbolisiert. Und Gelb für die Macht Gottes, die Zeit und die Vergänglichkeit steht. Das sind universelle Zuordnungen der Farben, wie man sie in den verschiedensten Kulturen wiederfinden kann. Nicht von ungefähr ist die Treppe mal grün, dann gelb, mal führt sie ins Irdische, dann wieder zum Horizont, während der Gottesstuhl gelb bleibt und die Beziehungen zwischen diesen pars-pro-toto-artigen Formen stets graphisch rot erscheinen.

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o.T., 2010, Acryl, Graphit, Kreiden auf Karton, 75 x 165 cm, Foto © Walter Breitinger

Symbolfarben transzendieren zwischen dem Heiligen und dem Profanen, dem Überirdischen und dem Irdischen.

Für Renate Sautermeister ist Farbe Schwingung, Energie, Material. Aber sie weiß auch um die psychischen Stimmungen, die Farben erzeugen.

Indem sie Graphisches und Malerisches expressiv zusammenführt, konfrontiert Sautermeister in den beiden polychromen „Treppen“-Kompositionen von 2009 und 2010 jeweils drei dynamische Formen, die sich einander nähern, berühren oder überschneiden und dabei einen energiegeladenen Diskurs eingehen. Für den Architekten ist eine Treppe ein aus Stufen gebildeter Auf- oder Abgang, der es ermöglicht, Höhenunterschiede bequem und trittsicher zu überwinden. Hingegen ist für Renate Sautermeister die Treppe ein vielschichtiges Symbol. Bis Mitte der 1980er Jahre, in ihrer surrealistischen Schaffensphase, führten in ihren Werken absteigende Treppen in Erdgruben, in die Unterwelt, in Dunkelheit, Finsternis und Tod, zum sol niger, der schwarzen Sonne. Als Traumsymbole wiesen diese Treppen auf das Hinabsteigen in das Unterbewusstsein, auf das „Wandern im Denkgebäude“.

Ganz anders in dieser, ihrer späteren Phase der freien Figuration: da sind es, wie hier zu sehen, durchweg aufsteigende Treppen und Freitreppen dazu, die sicher, weil es Lebensstufen sind, auch mal einbrechen können. Sie führen von irdischer Befangenheit zum himmlischen Licht in die Befreiung, sie sind Verbindung und Brücke, Übergang von einer Ebene zur anderen, Aufstieg, Zugang zum Transzendenten. Auch symbolisieren sie die seelische und geistige Transformation der Persönlichkeit.

Letztlich relevant bleibt, dass Renate Sautermeister mit großer Sensitivität und kreativem Enthusiasmus zu Werke geht und ihre bildkünstlerische Abstraktion in ihren gestisch freien Kompositionen sichtbar steigert. Erfreuen Sie sich also der malerischen Wucht dieser Bilder der letzten, reifen Schaffensphase Renate Sautermeisters, die nicht ohne einen graphisch-skripturalen Gegenpol existieren können.

„Renate Sautermeister. Skripturen“, Galerie DAS BILDERHAUS; bis 30. April 2016
„Renate Sautermeister. Farbsuggestionen“, Institut für Stadtgeschichte, Karmeliterkloster, Foyers, bis 12. März 2017

Alle Werke © VG Bild-Kunst, Bonn

→ Renate Sautermeister: All die Jahre

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