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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Deutscher Fairness-Preis 2014 an Claus Fussek

Es kommt auf jeden zu – das Alter

Von Renate Feyerbacher

Am 25. Oktober 2014 wurde in Frankfurt am Main Claus Fussek mit dem Fairness-Preis, der erstmal 2001 verliehen wurde, geehrt. Es ist ein nicht dotierter Preis.

Als die Fairness Stiftung 2013 den Preisträger bekannt gab, hatte sich Kabarettist Dieter Hildebrandt, der in seinen Sendungen immer wieder den Pflegenotstand gegeisselt hatte, sofort zur Laudatio bereit erklärt. Er starb jedoch am 20. November 2013 – mit 86 Jahren. Claus Fussek, der ihn einen seiner besten Freunde nannte, begleitete ihn beim Sterben. 

Dann hatte sich Georg Schramm, geboren 1949, einer der schärfsten Vertreter des politischen Kabaretts, Psychologe, zur Laudatio für seinen Freund Fussek bereit erklärt. Er kennt sich aus. Zornig, wie immer, war sein letztes Projekt „Meister Yodas Ende – über die Zweckentfremdung der Demenz“. Darin denkt der verrentete Genosse Dombrowski, Schramms Lieblingsfigur, darüber nach – das ist gelinde gesagt – besser er wütet darüber, wie mit der alternden Gesellschaft umgegangen wird. Leider musste Schramm absagen, weil eine nahe Angehörige schwer erkrankt war und er nicht von ihrer Seite weichen wollte.

Maria Peschek, ebenfalls Kabarettistin, Schauspielerin und Buchautorin, sprang ein. „Ex und Hopp“ hatte sie eines ihrer Kabarettprogramme genannt. Mit ihren Geschwistern pflegte sie die Mutter. In ihrer Laudatio beklagte sie jetzt das „kollektive Verdrängen“.

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Claus Fussek, Ehefrau Ute, Kabarettistin Maria Peschek

Zwei Drittel der alten und kranken Menschen werden zu Hause gepflegt. Aber oft nicht gut. Überforderung, Streit in der Familie, Streit unter den Erben machen das Leben pflegebedürftiger Menschen in der Familie oft unerträglich. Es ist sogar Gewalt im Spiel.

2,45 Millionen pflegebedürftige Menschen gibt es derzeit in Deutschland. Die Zahl steigt aufgrund der längeren Lebenszeiten, man kann sagen, rapide.

Und wie ist die Situation in den Heimen? Sei lieb zu Deinen Kindern, denn sie suchen Dein Pflegeheim aus.“ Dieser Spruch hängt bei Claus Fussek zu Hause.

Zusammen mit dem Fernsehjournalisten Gottlob Schober informiert Claus Fussek Politik und Gesellschaft über den Pflegenotstand im reichen Deutschland. Zusammen veröffentlichten sie die Bücher „Im Netz der Pflegemafia – Wie mit menschenunwürdiger Pflege Geschäfte gemacht werden“ (2009) und „Es ist genug! – Auch alte Menschen haben Rechte“ (2013). Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen in Institutionen“ ist das neueste Buch, das Fussek zusammen mit Rolf D. Hirsch schrieb. Schon die Titel der Bücher bringen das Problem auf den Punkt.

Sie werden gefesselt, obwohl sie noch gehen können; über Magensonden ernährt, obwohl sie noch essen können; eingesperrt, obwohl sie noch gerne an die frische Luft gehen wollen. Ihnen werden Windeln verpasst, obwohl sie noch auf die Toilette gehen können“ (Klappentext zu „Es ist genug! – Auch alte Menschen haben Rechte“ / Knaur Klartext). Nun will Claus Fussek nicht mehr schreiben: „Es ist alles gesagt!“

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Fussek, diplomierter Sozialpädagoge, ein Experte für Pflege und Integration, ist seit 1978 in der Vereinigung Integrations-Förderung in München tätig, die Menschen mit Behinderungen ambulante Beratungs- und Pflegedienste anbietet. Seit Jahrzehnten wird er nicht müde, in Büchern und Talkshows auf die Missstände in Pflegeheimen aufmerksam zu machen. Aber er bietet auch Lösungen an und berät. 50.000 Briefe und Mails hat er in dieser Zeit bekommen – die meisten von Pflegekräften, natürlich meist anonym, weil sie um ihre Arbeitsplätze bangen, von Angehörigen und auch von pflegebedürftigen Menschen. „Es ist grausam, dass alle Bescheid wissen. Es fehlt Mitgefühl. Das Schweigen der Kirchen ist grauenhaft. Schlechte Pflege ist Folter“, sagt der 61-jährige Fussek in seiner Dankesrede. Das grösste Problem sei die Einsamkeit. Viele Pflegekräfte kommen aus anderen Ländern und können sich nicht mit den Pflegebedürftigen verständigen.

Die Münchner Initiative „forum Pflege aktuell“ hatte bereits 2001 in einer Beschwerde beim UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte über die deutschen Pflegezustände in Altenheimen geklagt. Die Bundesrepublik wurde wegen der zum Teil unmenschlichen Bedingungen und der oft unsachgemässen Pflege scharf kritisiert. Geändert hat sich nichts – im Gegenteil: es ist schlimmer geworden.

Der Fernsehjournalist Gottlob Schober sagte in einem Interview: „Die Menschen kommen tagelang nicht aus ihrem Bett, werden mit Psychopharmaka ruhig gestellt, dämmern nur vor sich hin. Bekommen aus Zeitmangel nichts zu essen und zu trinken. Sie kommen nicht zum Klo und müssen ihre Notdurft in Windeln verrichten … Es braucht keine Medikamente, es braucht Menschlichkeit“ (AZ vom 1. 7. 2013).

Es gibt zwar Heime, in denen es die Pflegenden schaffen, die ihnen anvertrauten Menschen gut zu versorgen und Sterbende auch zu begleiten. Aber so manches Pflegeheim will an die Börse. Es muss sich lohnen, Profite müssen her. Deshalb lässt auch die Bezahlung des Pflegepersonals zu wünschen übrig.

Ist eine Heimeinweisung eines Familienmitglieds unabwendbar, dann sollten Angehörige sich unangemeldet Pflegeheime ansehen und selbst schauen, gute Bewertungen hinterfragen, mit den Leuten reden und sich erkundigen, ob es einen Garten gibt, ob Tierhaltung erlaubt ist. Es kann auch an eine Teilzeitpflege in einem Heim gedacht werden.

Die gesamte Familie von Claus Fussek, seine Frau Ute (er: „Ich kann Dir nicht versprechen, dass es besser wird“), seine Söhne Florian und Jonas sind involviert. Familiäre Krisen kommen vor. Fusseks Mutter ist 83 Jahre alt und auf Hilfe angewiesen, eine legale Betreuerin steht ihr zur Seite. Sein Vater ist 92 Jahre, die Schwiegermutter 93. Vor allem lässt die Familie die alten Menschen nicht im Stich, denn, wie gesagt, die Einsamkeit ist das Schlimmste.

Im anschliessenden Internationalen Fairness-Forum, das der promovierte Philosoph, Sozialwissenschaftler, Theologe, Publizist und geschäftsführende Direktor der Fairness-Stiftung Norbert Copray vorzüglich moderierte, nahm auch der Filmemacher David Sieveking teil. Für seinen Dokumentarfilm „Vergiss mein nicht“ erhielt er den Hessischen Filmpreis 2012 und auf dem 65. Internationalen Filmfestival in Locarno den Preis der Filmkritik.

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David Sieveking

Ein wunderbarer Film, der sich mit der zunehmenden Demenz der Mutter auseinandersetzt, der zeigt, was von den Angehörigen verlangt wird, der aber auch zeigt, wieviel der zu pflegende Mensch den Pflegenden zurückgibt, der ermutigt. Der Sohn zog zur Entlastung des überforderten Vaters wieder nach Hause. Für Vater und Sohn wurde es eine schwierige, aber auch eine beglückende Zeit. Der Sohn entdeckte seine Eltern neu.

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Buch von Claus Fussek, DVD von David Sieveking

Fairness-Initiativpreis

Verliehen wurde der Fairness-Initiativpreis 2014 an die Arbeitsgemeinschaft „AG Beipackzettel“, die 2006 von Patientenorganisationen, Seniorenverbänden und Mitarbeitern von Pharmafirmen gegründet wurde.

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Wer ein Medikament einnehmen muss, sollte den Beipackzettel lesen. Ungern geschieht es: Er ist kaum zu verstehen und die unverständlichen, medizinischen Begriffe machen Angst.

Ein patientenfreundlicher Beipackzettel hilft, die Hürde, sich ans Lesen zu machen, zu überwinden, die Leseschwierigkeit ad acta zu legen. Unmöglich oft – folglich landen laut Statistik jährlich 4.000 Tonnen Arzneimittel im Müll, auch aus Angst vor eventuell auftretenden anderen Beschwerden oder Krankheiten, die im Beipackzettel erwähnt werden. Es vergeht einem die Lust, die Compliance, die Therapietreue. Die Bereitschaft eines Patienten zur Mitwirkung könnte mit besseren Informationen eingehalten beziehungsweise gefördert werden.

In sieben Punkten wurde ein patientenfreundlicher Beipackzettel entworfen, den auch einige Pharmafirmen, darunter Pfizer, MSD, Novartis, AbbVie, mittlerweile beherzigen.

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(v.l.) Laudator Mark Schmid-Neuhaus, Gründungsmitglied der Fairness-Stiftung, sowie die Vertreter der AG Beipackzettel Ludwig Hammel und Christina Claußen

Bei der Begrüssung betonte Norbert Copray: „Es war nicht einfach, die AG Beipackzettel (als Preisträger) zu finden.“ In der Begründung hiess es: „Der Fairness-Initiativpreis würdigt diese unscheinbare Arbeit als Beitrag zur Fairness-Qualität im Umgang der Pharmahersteller mit den Patienten.“

Die Ausgezeichneten, die sämtlich ehrenamtlich arbeiten, machten klar, dass es viele juristische Probleme gab und gibt. Ein „dickes Brett“ müsse immer wieder „gebohrt“ werden.

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Die Preisträger mit (rechts in der hinteren Reihe) Norbert Copray

Die Fairness-Stiftung ist seit 14 Jahren aktiv, das Fairness-Bewusstsein und die Fairness-Qualität in Gesellschaft und Wirtschaft zu stärken und zu verbessern. Neben den Preisverleihungen berät die Fairness-Stiftung Menschen in unfairen Situationen, trainiert Führungskräfte in Fairness-Kompetenz und begleitet Firmen und Organisationen zur Fairness-Qualität. Die Preisverleihungen werden vom Verlag für die Deutsche Wirtschaft gesponsert.“

Mit diesen Worten stellt sich die Fairness-Stiftung im Internet dar. Bei der Preisverleihung wird deutlich, dass die Stiftung, die auf Spenden angewiesen ist, einen deutlichen Rückgang an Spenden verzeichnet. Unüberhörbar ist der Apell: „Investieren Sie in die Fairness – für mehr Fairness-Qualität!“

Fotos: Renate Feyerbacher

→  Deutscher Fairness-Preis und Initiativpreis 2013 an Detlef Flintz und Joblinge e.V.
→  Deutscher Fairness-Preis 2012 für Sarah Wiener

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