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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

100 Jahre Heussenstamm-Stiftung (2)

Jubiläumsfeier und Jubiläumsausstellung in der Heussenstamm-Galerie

Es fing schon gut an am Abend des 21. Januar – das neue Jahr 2014 war noch so jung, dass ein Glücksbringer in Gestalt eines veritablen Schornsteinfegers die Gäste an der Galerietür empfangen konnte. Alle bekamen einen „Glückspfennig“, will sagen „Glücks-Cent“ in die Hand gedrückt, und wer sein Glück in besonderem Masse auf den Plan rufen wollte, durfte an den Knöpfen der Schornsteinfegerkluft drehen und sich dabei etwas wünschen. Natürlich nahm sich der Glücksbringer in besonderer Weise der Hausherrin und Gastgeberin Dagmar Priepke an, versteht sich.

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Und je bunter die Schar der Gäste erschien, umso holder soll ihnen das Glück ins neue Jahr hineinleuchten.

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Willkommener Künstler-Gast: Max (Moshe) Weinberg

Die Heussenstamm-Stiftung ist weiblich … so schrieben wir in unserer Darstellung der Stiftungsgeschichte und der heutigen Aufgaben der Stiftung. Hier der Beweis: Dagmar Priepke, seit April 2008 Geschäftsführerin der Stiftung, blickt auf die Reihe von ausschliesslich Vorgängerinnen in der 100-jährigen Stiftungstradition zurück.

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Dagmar Priepke vor dem „Selbstporträt mit Atelierschlüsseln“ von Ottilie W. Roederstein, einer Leihgabe des Städel Museums Frankfurt zur Jubiläumsausstellung

Die Malerin Roederstein (1859 – 1937), deren Selbstbildnis „mit Atelierschlüsseln“ (!) an prominenter Stelle in der Ausstellung zu sehen ist, ist mit der Heussenstamm-Stiftung durchaus verbunden: ihre gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Elisabeth Winterhalter gegründete Stiftung zugunsten notleidender Malerinnen und Maler wurde 1952 in erstere integriert. Roederstein war eine selbstbewusste, ihr Selbstbestimmungsrecht durchsetzende Frau: Gegen grösste Widerstände ihrer Familie wurde sie Künstlerin, studierte zunächst bei Eduard Pfyffer in Zürich und später im Damenatelier von Karl Gussow in Berlin Malerei. Eine akademische Ausbildung blieb ihr in der damaligen Zeit als Frau jedoch verwehrt. In den frühen 1880er Jahren übersiedelte sie nach Paris, wo sie bereits ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf ihrer Bilder bestreiten konnte. 1887 kehrte sie nach Deutschland zurück und liess sich, gemeinsam mit ihrer Lebenspartnerin Elisabeth Winterhalter, wie wir lesen der ersten Chirurgin in Deutschland, 1891 in Frankfurt nieder. Mutig im ausgehenden 19. Jahrhundert ihre Entscheidung, sich in der Öffentlichkeit zu dieser Lebensgemeinschaft zu bekennen. Später lehrte Roederstein Malerei in ihrem Atelier im damaligen Städelschen Kunstinstitut; zu ihren Schülerinnen gehörte übrigens die Malerin, Sammlerin, Künstlerförderin und Kunsthändlerin Hanna Bekker vom Rath.

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Georg Dickenberger, Blau-Gelb, Leihgabe Barbara Dickenberger, © VG Bild-Kunst, Bonn

Prominent auch eine weitere Leihgabe zur Jubiläumsausstellung: eine Arbeit von Georg Dickenberger. Der 1913, dem Sterbejahr von Karl Jakob Moritz Heussenstamm, geborene Frankfurter Maler, Grafiker, Illustrator, Autor und Kunstkritiker ist Besuchern der Heussenstamm-Galerie zumindest von der Gedächtnisausstellung „Expressive Energie“ im Januar/Februar 2009 her bekannt. Mit dem Exponat erinnert die aktuelle Jubiläumsausstellung an das Wirken des 2004 verstorbenen Künstlers als eines Pioniers der Frankfurter Kunstszene in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Mit zwei eindringlichen wie meisterlichen Arbeiten sind die Galeriekünstlerinnen Katja Jüttemann und Eun-Joo Shin in der Ausstellung vertreten: Erstere mit „Peter“, einer Leihgabe aus dem „Café Eastside“, einem Kooperationsprojekt der Heussenstamm-Stiftung mit der Frankfurter Integrativen Drogenhilfe e.V., Europas grösster niedrigschwelliger Drogenhilfeeinrichtung. Letztere mit „Schielestraße IV“, betitelt nach der Strasse, in der die Integrative Drogenhilfe ihren Sitz hat. Beide Künstlerinnen arbeiteten über einen längeren Zeitraum mit Besucherinnen und Besuchern des Cafés aus der Drogen- und Obdachlosen-„Szene“ kreativ in den Bereichen Malerei und Zeichnung, Fotografie sowie Objektkunst, deren Arbeiten anschliessend vor Ort ausgestellt wurden.

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↑ Katja Jüttemann, „Peter“, Leihgabe des Café Eastside
↓ Eun-Joo Shin, „Schielestraße IV“

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Maike Häusling mit ihrer Videoprojektion

Frühlingshaftes Blätterrauschen in Baumwipfeln trifft man im Monat Januar selbst in der Heussenstamm-Galerie nur als Kunstwerk an; dafür ist es umso beeindruckender, den Tanz der Blätter und kleinen Zweige als Botschaft und Verkündung dessen zu erleben, was spätestens  zum Ende des März unsere winterlich-introvertierte Stimmung aufheitern wird. Doch sollte man das Video sehr viel aufmerksamer betrachten, als dies am Eröffnungsabend bei gefühlten 200 Gästen möglich war, wir haben sein Geheimnis noch längst nicht entschlüsselt …

Geheimnisse birgt auch die Arbeit „Träume“ des Galeriekünstlers Costa Bernstein. Schwimmenden Blasen, Erythrozyten und Leukozyten im Blutkreislauf gleich, treiben Gesichter in einem unbestimmten „Meer“, sie blasen ihrerseits bunte Luftballons auf, die vielleicht, wenn sie geplatzt sind, zu Boden sinken, als Sediment einer ungewissen Zukunft, wenn es denn einen solchen Boden gibt. In der Mitte des Bildes etwa scheint sich, ebenso blasengleich schwimmend, eine rechte Hand zu erheben. Wem mag sie ein Zeichen setzen?

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Costa Bernstein, Träume

Von Oliver Tüchsen gibt es eine skulpturale Installation zu sehen, eine halbseitig transparente Säule, die, wie Galeriechefin Dagmar Priepke erklärte, auch als eine willkommene Möblierung angesehen werden kann: Man kann sich als Gast zu dem Objekt gesellen, allerlei Informatives auf seiner Oberfläche antreffen wie zugleich dort auch ablegen und – für den Galeriebetrieb wichtig – auch sein Glas Wein darauf abstellen, was denn am Eröffnungsabend auch vielfach geschah.

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Oliver Tüchsen, Installation

Schliesslich gibt es auch fotografische Arbeiten zu sehen: von Hans-Jürgen Herrmann und Harald Schröder.

Kunst, Bildung, Soziales –

so lautet der Auftrag der Heussenstamm-Stiftung in seiner heutigen zeitgerechten Ausprägung.

Eine Reihe von Werken eines Künstlers und einer Künstlerin der Praunheimer Werkstätten – einer gemeinnützigen Frankfurter Einrichtung mit den beiden Hauptbereichen Arbeiten und Wohnen für Menschen mit Behinderung – stellt die Galerie aus: die beiden heissen Oliver Hammerschmidt und Ellen Libbach. Alle Blätter können käuflich erworben werden.

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↑ Drei grösserformatige Arbeiten von Oliver Hammerschmidt …
↓ … und ein Konvolut an Gemälden von Ellen Libbach

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Auch eine Werkreihe aus der Initiative „Der Rote Punkt“ ist zu sehen.

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Und nun der Clou, das Projekt „Movida. Alles was besonders ist“, eine Kooperation mit der Frankfurter Kunstpädagogin Sophia Edschmid: Der junge Milan Bolacjos aus einer Sozialstation ist begeistert von Pablo Picassos berühmter „Weinender Frau“; er gesellte ihr eine Familie hinzu: „Die Mutter“, „Die Schwester“, „Der Bruder“ und „Das Kind“.

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Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth, zugleich Vorsitzender des Vorstands der Heussenstamm-Stiftung, würdigte in seiner Festansprache das überaus grosse, ja für die Stadt Frankfurt unverzichtbare Engagement dieser der Kunst, der Bildung und dem Gemeinwohl verpflichteten Institution und ihrer Galerie. Danach begann die Jubiläumsfeier: mit, wie bereits gesagt, gefühlten 200 Gästen, aber wer hätte sie – auch wenn es weniger waren – schon zählen können?

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Dagmar Priepke und Professor Felix Semmelroth; links Milan Bolacjos, in der Mitte Ellen Libbach, links hinten verdeckt Maike Häusling und Costa Bernstein

Ausstellung „100 Jahre Heussenstamm-Stiftung – Kunst Bildung Soziales“, Heussenstamm-Galerie, bis 14. Februar 2014

Fotos: FeuilletonFrankfurt

→  100 Jahre Heussenstamm-Stiftung (1)

 

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