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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 6

Ein Reisebericht

6. Teil: Córdoba

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Renaissance-Turm der Mezquita-Catedral, der ein ehemaliges Minarett ummantelt

Ticketkontrolle, Kofferkontrolle im Bahnhof von Sevilla – ein Vorgang wie am Flughafen. Erst dann kann der abendliche Schnellzug Richtung Madrid bestiegen werden, der uns nach Córdoba bringt. Kopfhörer werden verteilt, um den Ton des Films, der im Zuginnern läuft, zu hören. Wieder ist die Zugfahrt angenehm.

Der Stadtbus bringt uns zu unserem Hotel, das im historischen Teil der Stadt liegt. Dieses zu einer spanischen Hotelkette gehörende Haus ist in einem edlen Stadtpalast aus dem 16./17. Jahrhundert untergebracht – wunderschön sein Patio, der Innenhof. Vom Zimmerfenster aus blicken wir auf die alte Stadtmauer.

Nur wenige Schritte sind es zur Calle Judíos, wo die Bronzefigur des jüdischen Religionsphilosophen und Arztes Moses Maimónides (zwischen 1135/38 – 1204) steht, der im 12. Jahrhundert in Córdoba geboren wurde. Seine jüdische Religionsphilosophie beeinflusste auch die christliche Scholastik, die wissenschaftliche Denkweise in der lateinischsprachigen, mittelalterlichen Gelehrtenwelt. Sein Kollege war der ebenfalls in Córdoba geborene arabische Arzt und Religionsphilosoph Averroes (Ibn Ruschd, 1126-1198), dem die Stadt auch ein Denkmal setzte. Er war ein grosser Kenner der Aristotelischen Lehre. Der Maler Raffael hat ihn in den vatikanischen Stanzen in der „Schule von Athen“ verewigt.

„Die kulturelle Symbiose von Orient und Okzident macht die einzigartige Leistung von al-Andalus aus. Für die europäische Geistesgeschichte ist diese Symbiose von grosser Bedeutung“ (Georg Bossong: „Al-Andalus, goldener Traum“, Die Zeit vom 16. Juni 2011).

In der Calle Judíos, im Haus Nummer 20, befand sich die Synagoge, die von 1313 bis zur Vertreibung der Juden im Jahr 1492 als religiöser Ort genutzt wurde. Feine Stuckreliefs mit floralen und geometrischen Motiven sowie hebräische Inschriften sind ebenso wie die Tribüne der Frauen geblieben. Vis-à-vis das Haus des Sefardentums, so nannten sich die Juden bis zu ihrer Vertreibung. Heute befindet sich hier ein Museum, das sich dem jüdischen Leben in Spanien widmet.

Ein enges Gassengeflecht kennzeichnet dieses Viertel mit kleinen Geschäften, mit schönen Innenhöfen und deren schmiedeeisernen Toren, die sich jedes Jahr im Mai für alle öffnen.

Gasse, Innenhof

Zunächst erkunden wir den römischen Teil der Stadt. Wir schlendern über die wuchtige römische Brücke Puente Romano mit ihren 16 Bögen, die auch Puente viejo genannt wird. Sie überbrückt den Guadalquivir, dem wir seit dem Golf in Cádiz folgen. Der zinnenbekrönte Festungsturm Torre de la Calahorra am südlichen Ende gegenüber der Altstadt wurde auf maurischen Mauerresten im 14. Jahrhundert erbaut.

Römische Brücke, Blick auf die Mezquita

Ab 711 herrschten in Córdoba die Mauren: Der Umayyaden-Prinz ‘Abd al Rahmân I. macht Córdoba gar 45 Jahre später zur Hauptstadt von al-Andalus. Sich selbst proklamiert er zum Emir (Befehlshaber). Er bringt der Stadt den politischen und kulturellen Aufschwung und verfestigt die muslimische Herrschaft. Weitsichtig soll seine Staatsführung gewesen sein, und siegreich war er auch. Das Frankenheer unter Karl dem Grossen und Roland erlebt durch sein Heer eine Niederlage. Am Ende seiner Regierungszeit legt er den Grundstein für die Moschee von Córdoba – dort, wo früher ein römischer Tempel und eine westgotische Kirche standen.

Den Christen und Juden war Religionsfreiheit gewährt. Einmal allerdings kam es zwischen 850 und 859 zu Hinrichtungen von Christen. Einige hatten Widerstand gegen den Islam geleistet und den Propheten Mohammed geschmäht. Diese Aktionen einiger Christen waren auch unter den meisten Christen höchst umstritten, und die Bischöfe von Córdoba und Sevilla taten alles, um diese Bewegung zu stoppen. Das einvernehmliche Zusammenleben zwischen den Religionen wollten sie nicht gefährden.

Es folgten jedoch 40 unruhige Jahre durch einen Aufstand des Ibn Hafsûn, Nachkomme eines westgotischen Grafen, der zum Islam konvertiert war. Er wiegelte wie Robin Hood das Volk auf. Erst gegen Ende seines Lebens streckte er vor Emir ‘ Abd al-Rahmân III. – al-Nâsir (der Sieger) genannt – die Waffen. 912 trat er seine fünfzigjährige Herrschaft an und ernannte sich später zum Kalifen. Es war „die längste und glanzvollste Herrscherperiode in der Geschichte von al-Andalus“. Sein Sohn al-Hakam II. „führte das Kalifat Córdoba zum Höhepunkt seiner Macht. Der Handel blühte; die Menschen priesen den Herrscher, der ihnen den Frieden nach innen wie nach aussen bescherte. Al-Hakam war militärisch an allen Fronten erfolgreich“ (Georg Bossong, Das Maurische Spanien). Aber Al-Hakam interessierte sich mehr für die Kunst. 400.000 Bände, Manuskripte aus allen Bereichen der Wissenschaft sollen in seiner Bibliothek gewesen sein.

Puerta del Palacio und Puerta de San Esteban

Die Mezquita, die al-Hakam II. in der Zeit zwischen 962 und 965 auf die doppelte Grösse ausbauen liess, ist das Herzstück Córdobas. Seine endgültige Grösse, die heute bewundert wird, erhielt das Gotteshaus jedoch erst ab 987 durch al-Mansûr, der unter dem hispanisierten Namen Almanzor als Krieger berühmt wurde.

Auch später gab es noch Veränderungen, vor allen Dingen nach der Reconquista. Mit 23.000 m² ist die Mezquita einer der grössten Sakralbauten der Welt. Und sie ist einer der schönsten der Welt. Die Moschee ist eine architektonische Sensation. Überwältigend ist der Anblick des Säulenwaldes, der die Decke des 40.000 Gläubige fassenden Betsaals stützt. Mehr als 800 Säulen aus Marmor, Granit und Jaspis sind es, die die Hufeisen- und Zackenbögen tragen. Einige Säulen fielen der christlichen Umgestaltung zum Opfer. Die symmetrische Anordnung und die zweigeschossige Arkaden-Gliederung mit ihrem rot-weissen Farbwechsel vermitteln den Eindruck von Leichtigkeit und Schwerelosigkeit.

Innenraum der Mezquita

Glanzstücke der Mosaikkunst sind der Mihrab und das Tor des Imam. Al-Hakam II. hatte den byzantinischen Kaiser gebeten, ihm einen Spezialisten zu schicken, um die einheimischen Künstler zu schulen. Mit ihm kamen Tonnen von Steinmaterial.

Tor des Imam mit Zierinschrift

965 wurde der Mihrab, Ort des Gebetes für den Imam, der in Richtung Mekka weist, vollendet.

Mihrab

An der Rückseite der kleinen Nische sind zweifellos zwei schemenhafte Figuren zu erkennen. Davor liegt der dem Herrscher oder Stadthalter vorbehaltene Bereich, die Maqsura mit seiner prächtigen Kuppel – auch ein Meisterwerk der Mosaikkunst. Die sich kreuzenden Rippen bilden einen Stern – Symbol der Himmelskugel.

Kuppel Maqsura

Die Capilla de la Villaviciosa, der Gebetsraum al-Hakams II., besticht durch seine kunstfertige Bogenvielfalt mit ihrem aufwändigen Stuckdekor. Sie wurde im 15. Jahrhundert in den ersten christlichen Altarraum umgestaltet.

Capilla de la Villaviciosa

Ab 1523 liess das Domkapitel in die Moschee eine Kathedrale bauen, gegen den Willen des Stadtrats und der Bevölkerung, die um die Harmonie des islamischen Baus fürchteten. Kaiser Karl V., der ursprünglich dem Bau zugestimmt hatte, soll bei seinem Besuch in Córdoba ausgerufen haben: „Ihr habt zerstört, was in der Welt einmalig war, und etwas hingestellt, was man überall sehen kann.“ Über zwei Jahrhunderte dauerte die Vollendung der Renaissancekirche, deren Schönheit keinen Zweifel zulässt. Auch der Turm der Mezquita-Catedral, in dem sich das Minarett verbirgt, ist ein Renaissance-Kleinod.

Islamisches – Christliches

Eine Vielzahl von Seitenkapellen wurden geschaffen. Eine ist die Capilla de la Encarnación (Menschwerdung Gottes) mit dem Tafelgemälde „Maria Verkündigung“, dem Hauptwerk des andalusischen Malers Pedro de Córdoba. Es hat die Signatur 1475. Maurische Dekorationsfreude und niederländischer Realismus kennzeichnen das Geschehen.

Pedro de Córdoba, „Maria Verkündigung“

Ins Auge springt das Chorgestühl des Hauptschiffes- ein Meisterwerk eines Sevillaner Künstlers von 1785.

Chorgestühl der Kathedrale

Córdoba, die drittgrösste Stadt Andalusiens, hat etwa 330.000 Einwohner. Im 10. Jahrhundert sollen hier eine halbe Million Menschen gewohnt haben. Für damalige Verhältnisse eine „Megacity“.

Allerorten in Andalusien gibt es „Tablaos“, wo Flamenco-Shows dargeboten werden. Flamenco ist der ursprüngliche Tanz der „gitanos“, die zu den spanischen Roma gehören. Wir haben die Tablaos von Sevilla gemieden, zu viele Touristen sind hier unterwegs. In Córdoba fanden wir – auf Nachfrage bei Einheimischen – das Tablao Cardenal, wo in einem kleinen, intimen Innenhof eines Mudéjarpalastes aus dem 16. Jahrhundert wunderbarer Flamenco geboten wird. Viele der Tänzer wie auch der Musiker sind preisgekrönte Künstler.

Am nächsten Tag spazieren wir zum Palacio de Viana. Wir streifen die Plaza Doctor Emilio Luque (1876 -1939) mit der Büste des engagierten Córdobeser Arztes, gelangen auf die geschäftige Plaza de las Tendillas, Platz der kleinen Geschäfte, mit ihren opulenten Häusern, den gemütlichen Cafeterias, den Springbrunnen und Wasserspielen. Eine schöne Atmosphäre herrscht hier an der Nahtstelle zwischen Alt- und Neustadt, ein beliebter Treffpunkt der Menschen. In der Mitte das Reiterstandbild des spanischen Generals Gonzalo Fernández de Córdoba y Aguilar in Diensten der katholischen Könige. Gran Capitan, wie er genannt wird, lebte im 15. Jahrhundert.

Plaza de la Tendillas

An den Säulen des Römertempels vorbei durchstreifen wir kleinere Strassen und erreichen den Palacio de Viana mit seinen mehr als 100 Räumen, die historische Waffen, Gemälde, Teppiche, Porzellan und eine beachtliche Bibliothek beherbergen. Ein eindrucksvolles Herrscherhaus aus dem 14. Jahrhundert. Die Hauptattraktion sind aber die zwölf Innenhöfe, daher wird die Anlage auch Museo de Patios genannt. Jeder ist anders bepflanzt. Hier kann sich der Besucher an höchster Gartenkunst erfreuen.

Bevor wir den grössten Platz der Stadt, die Plaza de la Corredera erreichen, der als Arena für Stierkämpfe, Pferderennen und der Inquisition diente – übrigens gibt es in der Stadt ein Museo de la Inquisicion – betreten wir einen Markt. Zwei ältere Herren unterhalten sich. Einer sagt in deutsch das Wort „Brötchen“. Wir kommen ins Gespräch. Zwei Jahre habe er in Mannheim gelebt und gearbeitet. Der andere mischt sich ein. Er habe 15 Jahre in Frankfurt gelebt. Er erklärt, wo die Leipzigerstrasse liegt, in der er zuhause war. Er fragt nach der Alten Oper, die er nur als Ruine kennt, und erzählt von seiner Tochter, die heute Rechtsanwältin ist und drei Instrumente spielt. Eine schöne Begegnung, denn ansonsten ist es nicht einfach, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Ein Ausflug zur Medînat Azahara, die etwa acht Kilometer ausserhalb der Stadt liegt, ist uns noch sehr wichtig. Es ist ein wunderschöner Ort, umgeben von Olivenhainen, weit reicht der Blick über das Guadalquivir-Tal in Richtung Córdoba. Trotz der vorangeschrittenen Tageszeit ist die Sonne noch intensiv.

Die ehemalige Residenz Madînat al Zahra‘, auch andalusisches Versailles genannt, ist heute archäologische Stätte. Zwischen 936 und 940, in der Regierungszeit von ‚Abd al-Rahmân III., der sich 929 zum Kalifen proklamierte, fällt der Baubeginn dieser Stadt mit Palast, Verwaltungsgebäuden, Wohnhäusern, Pferdeställen und nicht zu vergessen einer Moschee. Diese Kalifenstadt sollte die Würde, Macht und Stellung des Reiches repräsentieren. Über 10.000 Bauarbeiter und Stukkateure sollen um 940 hier gearbeitet haben. Marmor für Säulen wurde in heimischen Steinbrüchen gebrochen, Säulen aus römischen Ruinenstädten herbei transportiert. Und aus Byzanz kamen, wie schon bei der Mezquita, Tonnen von Mosaiksteinchen.

Heute lassen nur einige Mauerreste die Pracht erahnen. Hier erwiesen Könige und Botschafter dem Kalifen ihre Aufwartung. Aber schon bald folgte der Niedergang. Noch nicht einmal ein Jahrhundert existierte die Stadt. Ab 1010 begannen die internen Streitigkeiten, die fitna – das bedeutet Verwirrung. Es gab Palastrevolten und Bürgerkriege. Und Medînat al-Zahra‘ wurde im Sturm erobert. Bis ins 20. Jahrundert wurde das Baumaterial systematisch geplündert.

Portal von „Casa Ya’far“

Blick auf „Casa Ya’far“, Haus eines hohen Amtsträgers

Saal von Abdal-Rahmân III.

Die Überreste der Stadt als „Córdoba la Vieja“ waren zwar bekannt, wurden aber vergessen. Erst 1911 wurden sie wieder freigelegt. Das ist bald ein Jahrhundert her, aber viel ist noch zu tun. Erst zehn Prozent der 112 Hektar grossen Gesamtfläche der innerhalb der Mauern gelegenen Stadt sind ausgegraben. Einiges wurde rekonstruiert. Es wird weiterhin viel Zeit brauchen.

2009 wurde das Museum und Kulturzentrum Madînat al Zahra‘ eröffnet, ein drei geschossiges Gebäude, das teilweise in die Erde versenkt wurde, um die archäologische Fundstätte nicht zu beeinflussen.

Hier wird konserviert, wissenschaftlich ausgewertet und ausgestellt. Und es werden die Funde geschützt. Ein Kapitell aus der Kalifenstadt soll in London für 50 Millionen Euro versteigert worden sein. Zu teuer für den spanischen Staat, um es zu erwerben. Dem Raub wurde nun ein Riegel vorgeschoben.

Zum Ende des Aufenthalts sind wir zufrieden, einige Tage für Córdoba eingeplant und nicht wie zahlreiche Besucher nur die Mezquita ins Auge gefasst zu haben. Trotz unserer gut genutzten Zeit müssen wir eine Reihe von weiteren Sehenswürdigkeiten wie etwa das Alcázar de los Reyes Cristianos, die arabischen Bäder, die arabischen Mühlen, das Archäologische Museum oder das Museum der schönen Künste aus Zeitgründen „verschmähen“. Jedem Besucher von Córdoba sei geraten, auch fernab der typischen Touristenpfade zu wandern, um diese wunderbare Stadt in ihrer Vielfalt kennenzulernen.

→ Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 4 (Sevilla 1)

→ Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 1 (Málaga)

→ Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 7 (Granada 1)


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