home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Biennale Arte Venedig 2011 (3): Die Goldenen Löwen

Er ist eine hohe Auszeichnung: der „Leone d‘ Oro“, der Goldene Löwe, alle zwei Jahre anlässlich der Biennale Arte in Venedig verliehen. Wobei man nicht vergessen darf: Zur Biennale Venedig gehören neben der Kunst – zu unterschiedlichen Zeiten über das Jahr verteilt – auch die Sparten Architektur, Film (Internationale Filmfestspiele Venedig), Tanz, Musik, Theater und sogar „Historisches Archiv“.

Uns geht es – wie vor zwei Jahren – um die Kunst-Biennale. Heute stellen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Gewinner der begehrten „Leone d‘ Oro“ vor (wobei wir nicht nur in Zeiten der Finanz- und Euro-Krise annehmen, das die Trophäe leider nicht aus dem heftig nachgefragten Edelmetall besteht, dessen Preis per Unze die 1600-Dollar-Grenze überschritten hat, bei vier dieser liebenswerten Tierchen vor Ort hätte dies längst die italienische und internationale Räuberszene auf den Plan gerufen, trotz der zahlreichen, im üblichen auffälligen Schwarz gekleideten Herren mit der Antennenspirale hinter dem Ohr).

Es ist der 4. Juni, ein herrlicher Sommertag, der Festakt findet gegen Mittag in den Giardini Pubblici unter freiem Himmel, zugleich einem riesigen Sonnensegel statt. Biennale-Präsident Paolo Baratta und Biennale-Direktorin Bice Curiger sprechen kurz zur Eröffnung.

Bice Curiger und Paolo Baratta

Überall Absperrungen und Gedränge, Kameras und Fotografen, im Hintergrund ein damals aktuelles politisches Transparent „SI al REFERENDUM“

Wie wir bereits ausgeführt haben: vier Goldene Löwen gab es zu verteilen, und traditionsgemäss einen Silbernen, letzteren für den besten unter den vielversprechenden Nachwuchskünstlern.

Nun, den einen Goldenen gewann – jetzt wird es etwas kompliziert – die Bundesrepublik Deutschland für den „besten nationalen Auftritt ‚Christoph Schlingensief‘„. Biennale-Kuratorin (Kommissarin) Susanne Gaensheimer nahm ihn am 4. Juni in Empfang.

Aino Laberenz (Witwe Christoph Schlingensiefs), Susanne Gaensheimer, Biennale-Präsident Paolo Baratta und Bice Curiger, Direktorin der 54. Kunst-Biennale, während der Verleihung des Goldenen Löwen für den Beitrag Deutschlands

Wem gehört er nun eigentlich, der Goldene Löwe, der Bundesrepublik Deutschland? Der Kommissarin Susanne Gaensheimer? Posthum Christoph Schlingensief? Kunst-Juristen an die Arbeit!

Klarer ist die Situation bei dem „besten Künstler“ der diesjährigen Biennale: Mit dem zweiten Leone d‘ Oro ausgezeichnet wurde der US-Amerikaner Christian Marclay für seinen Film „The Clock“ aus dem Jahr 2010.

Goldener Löwe für Christian Marclay

Mit jeweils einem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk wurden ausgezeichnet: Sturtevant und Franz West.

Paolo Baratta gratuliert Franz West zum Goldenen Löwen

Goldener Löwe auch für Sturtevant

Den silbernen „Nachwuchs-Löwen“ erhielt Haroon Mirza aus Grossbritannien. Mit den „Besonderen Erwähnungen“ wurden ausgezeichnet der Pavillon Litauens und die schwedische Künstlerin Klara Lidén.

Nehmen ein Bad in der Menge: Haroon Mirza, Aino Laberenz, Susanne Gaensheimer und Franz West

Biografische Notizen:

Sturtevant (eigentlich Elaine Sturtevant) wurde 1930 in Lakewood/Ohio geboren. In Frankfurt ist sie seit September 2004 bekannt: Udo Kittelmann widmete ihr das gesamte Museum für Moderne Kunst MMK für ihre erste grosse, 140 Werke umfassende Museumsausstellung „The Brutal Truth“. Die radikal-konzeptuelle Künstlerin befasst sich mit dem Dualismus von Original und Reproduktion und stellt dabei, Publikum wie Kunstmarkt gleichermassen irritierend und provozierend, das Original und dessen Originalität zur Disposition – eine unverändert aktuelle Thematik. Sie reproduziert oder besser gesagt wiederholt mit verblüffender handwerklicher Technik und zeitlicher Nähe zum „Original“ Werke bekannter zeitgenössischer Künstler. „Sturtevant“, schreibt Mario Kramer, „stellte den Kunstprodukten, die alle Merkmale der Multiplikation, des Reproduktiven als auch des Seriellen in sich tragen, ein dupliziertes Original zur Seite.“ Die Künstlerin lebt in Paris.

Sturtevant, Warhol Flowers, 1990, Siebdruck- und Acrylfarbe auf Leinwand, 295 x 295 cm, © Sturtevant, Jubiläumsausstellung 20 Jahre MMK

Franz West, 1947 in Wien geboren, wo er auch heute lebt, arbeitet hauptsächlich auf den Gebieten Skulptur, Collage und Installation. Weltweit bekannt wurde er durch seine „Passstücke“, kleine skulpturale Gegenstände, die die Ausstellungsbesucher erhielten und mit denen sie eine aktive Beziehung zu den zu betrachtenden Kunstwerken entwickeln sollten. Bekannt sind ebenso seine Sitz-Möbel-Skulpturen, die gleichermassen Kunstobjekte wie auch Gebrauchsgegenstände darstellen. 1993 gestaltete West den Pavillon Österreichs zur 45. Biennale Arte in Venedig. 1992 und 1997 nahm er an der Kasseler documenta IX und X teil. Zur aktuellen Biennale 2011 errichtete er einen sogenannten Para-Pavillon.

Franz West, Para-Pavillon (Detail), Biennale Arte 2011, Arsenale

Christian Marclay wurde 1955 im kalifornischen San Rafael geboren. Nach Studienjahren in Genf, wo er auch aufwuchs, kehrte er 1977 in die USA zurück. Zum einen bildender Künstler vor allem im Bereich der monumentalen Skulptur, untersucht Marclay zum anderen als Komponist in seinen Arbeiten Zusammenhänge zwischen Ton, Fotografie, Video und Film. Die Film-Collage „The Clock“, an der er zusammen mit sechs Assistenten zwei Jahre lang arbeitete, beinhaltet eine 24 Stunden umfassende Montage von ineinanderfliessenden Ausschnitten aus Tausenden von Kinofilmen. In den einzelnen Sequenzen laufen, zumeist in Echtzeit, Uhren aller Art und Beschaffenheit – Symbol für die unaufhaltsam vergehende Zeit – und Lebenszeit. Marclay lebt in New York und London.

Comments are closed.