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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kein „Tod in Venedig“: Christoph Schlingensiefs Werk im Deutschen Pavillon zur Biennale 2011

„Das Wichtigste ist, nicht nur ich liebe das, was ich mir erträumt habe.“

Christoph Schlingensief

Auch nach dem Tod von Christoph Schlingensief am 21. August dieses Jahres wird MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer, Kommissarin des Deutschen Pavillons der 54. Biennale von Venedig 2011, dessen Arbeit in der Lagunenstadt präsentieren.

„Wie bereits im Rahmen der Veröffentlichung meiner Einladung an Christoph Schlingensief im Mai diesen Jahres gesagt, war mein Ausgangspunkt die Überlegung, einen Künstler meiner Generation anzusprechen, der schon lange – und im Falle von Christoph Schlingensief sind das fast 30 Jahre – und in repräsentativer Weise Kunst macht, die die künstlerischen, gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen der letzten Jahrzehnte der wiedervereinigten Bundesrepublik nicht nur begleitet, sondern massgeblich mitbestimmt hat. Christoph Schlingensief war einer der ganz bedeutenden Künstler dieses Landes, der immer vollkommen rückhaltlos, auch sich selbst gegenüber, seine Position geäussert und behauptet hat, in aller Deutlichkeit und Direktheit, die notwendig ist, um Zustände effektiv zu kommentieren. An dieser Einschätzung“, so Susanne Gaensheimer, „hat sich auch nach Christoph Schlingensiefs tragischem Tod nichts geändert“.

Und weiter: „Ein Projekt von Christoph Schlingensief ist ohne Christoph Schlingensief nicht zu realisieren. Fast ein Jahr vor der Biennale waren natürlich noch Fragen offen, und wer weiss, wie Schlingensief gearbeitet hat, der weiss auch, dass bis zur Eröffnung noch viele Veränderungen stattgefunden hätten. Seine Person kann niemand ersetzen, ohne ihn ist es unmöglich, das Angedachte zu Ende zu führen. Wir werden seine Pläne und Ideen jedoch über verschiedene Medien dokumentieren.“

Christoph Schlingensief; Museum für Moderne Kunst, Foto: © Perfect Shot Films GmbH

Zumindest drei unvollendete Projekte hinterliess Schlingensief bei seinem Tod: Das grösste unter ihnen ist das „Festspielhaus Afrika“, ein „Operndorf“  nahe Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. Seit Januar 2010 befindet es sich im Aufbau, im Zentrum mit einer Theaterbühne nebst Festsaal und Proberäumen, aber auch mit einer Schule mit Film- und Musikklassen sowie Werkstätten, Wohn- und Gästehäusern. Es sollen Siedlungen entstehen samt notwendiger Inftrastrukturen, Büros, Sport- und Agrarflächen und einer Krankenstation. Ein Gremium aus langjährigen Weggefährten, Freunden und Partnern Schlingensiefs, dem neben seiner Witwe Aino Laberenz unter anderem Theaterintendanten und -dramaturgen, Architekten, die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer und nicht zuletzt der Berliner Rechtsanwalt und Kunstmanager Peter Raue angehören, treibt das Projekt im Sinne des Verstorbenen voran.

Inzwischen realisiert wurde sein Opernprojekt „Metanoia“ (FeuilletonFrankfurt berichtete): an der Berliner Staatsoper im Schiller-Theater, von einem – wie es sich nannte – „kopflosen“ Produktionsteam.

Steht also noch die Bespielung des Deutschen Pavillons zur Biennale 2011 in Venedig aus. Eine Reihe zum Teil durchaus bereits detaillierter Ideen und Überlegungen Schlingensiefs bilden die Grundlage für die von Gaensheimer geplanten Aktivitäten. Das Gebäude soll mit Werken und Projekten bespielt werden, die zentral für Schlingensiefs Arbeit und wesentlich für seine Ideen für den Pavillon stehen. Der entsprechende Entwicklungsprozess soll auf einer eigens einzurichtenden Webseite veröffentlicht werden, und zur Eröffnung der Biennale kündigt Gaensheimer eine entsprechende Buchpublikation an.

„Mit dem Festspielhaus in Afrika … und vor allem auch mit der Selbstreflektion des Projekts und der Thematisierung seines eigenen Scheiterns im aktuellen Theaterstück ‚Via Intolleranza II‘ gelingt es Schlingensief, seine Analyse des ‚Deutschseins‘ und die damit verbundenen Fragen in eine transnationale Dimension zu übertragen: ‚Warum wollen wir ständig dem afrikanischen Kontinent helfen, obwohl wir uns selber nicht helfen können?‘ fragt er. Für die Arbeit am Deutschen Pavillon für das nächste Jahr,“ so Susanne Gaensheimer, „wird das Operndorf eine zentrale Rolle spielen.“

So wird der deutsche Biennale-Beitrag keine Ausstellung von, sondern eine über Christoph Schlingensief. Bei alldem wird die Biennale-Kommissarin auf Teamarbeit setzen – allen voran mit Aino Laberenz als „Ersatz der künstlerischen Instanz“ (Gaensheimer). Das Produktionsteam für „Metanoia“ mag da als Vorbild dienen: Es schrieb dazu im Programmzettel zur Oper: „Es würde uns gefallen, diese Gemeinschaftsarbeit könnte als ein Dokument des Fehlens und gleichzeitig auch der Anwesenheit verstanden werden.“

Einen anderen Künstler – als lediglich „zweite Wahl“ – um den Beitrag Deutschlands im Pavillon zu bitten, konnte niemals ernsthaft in Betracht kommen; mit einem leeren Pavillon als Symbol der Leere aufzuwarten, die der Tod Schlingensiefs hinterlässt, wohl ebenso wenig, hätte das Biennalepublikum eine solche Geste doch kaum verstanden.

So könnte, wenn alles gut ginge, am Ende Swantje Karich doch noch Recht behalten: „Vielleicht sind Venedig und die Kunstwelt genau jetzt reif für Schlingensief“, wie sie in der FAZ schrieb. Das war allerdings noch zu seinen Lebzeiten.

Christoph Schlingensief, Via Intolleranza II, Uraufführung beim „Kunsten Festival des Arts Brüssel“ am 15. 5. 2010; Museum für Moderne Kunst, Foto: Aino Laberenz

→ Biennale Arte Venedig 2011 (1): Wir gratulieren Susanne Gaensheimer zum Goldenen Löwen!


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