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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Helmut Lander zum 85. Geburtstag

Text und Fotografien: Renate Feyerbacher

(1 Foto Günther Jockel)

Dem Darmstädter Künstler Helmut Lander zum 85. Geburtstag:

„er formt figuren
die schatten sind
er formt figuren
die ausgehöhlt sind
er formt figuren
die fragmente sind“

Hanne F. Juritz, Gedicht für Helmut Lander „Da wird einer geboren 1924“ (aus dem mit Lithografien von Lander illustrierten Lyrikband „Verwehung im Park“)

Immer wieder hat Helmut Lander mit Dichtern und Schriftstellern zusammengearbeitet, ihre Bücher gestaltet. Karl Krolow, Gabriele Wohmann und Hanne F. Juritz gehören dazu. Einer der Schaffensbereiche des Darmstädter Künstlers.

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Selbstbildnis (Ausschnitt), 1994, Aquarell

Filme drehen, Texte zu eigenen Werken oder zu Baukunst schreiben, fotografieren zählt zu Landers weiteren Aktivitäten. Unvergleichlich sein Buch „Torsi“ mit Aktfotos und Zeichnungen, das 1966 erschien. Kein Geringerer als der amerikanische Schriftsteller Henry Miller („Im Wendekreis des Krebses“, „Stille Tage in Clichy“) schrieb dazu den Text.

Eine Brunnenplastik in Darmstadt, die einst mit dem Wasser spielte, aber in den letzten Jahren langsam verfällt, hat etwas von dem Ausgehöhlten, das Juritz anspricht.

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Brunnenplastik, 1989, Bronze (vor dem Gebäude der ehemaligen Landeszentralbank in Darmstadt)

Im Bewusstsein der Kunstinteressierten sind Landers Skulpturen, Gemälde, Lithografien, Gouachen und Zeichnungen verankert. Es ist der menschliche Kopf, der ihn besonders beschäftigt. Ihn hat er in Bronze, in Eisen und in Acryl gestaltet, beweglich, zerlegbar. Er hat ihn gemalt, gezeichnet mit Kohle und Bleistift. Es gibt übergrosse, aber auch kleine Kopf-Skulpturen, die wie Schmeichelsteine in der Hand liegen.

Ursprünglich wollte Helmut Lander, 1924 in Weimar geboren, Flugzeuge konstruieren. Dieser Berufswunsch wurde ihm 1942, als er mit 18 Jahren bei der Luftwaffe dienen musste, gründlich verleidet. Die „technische Ader“ ist jedoch in seinen Skulpturen sichtbar: Sie haben klare Linien, nichts Verspieltes. Sie sind kubistisch, geometrisch. „Die Schwere vergisst schwer zu sein; das Eckige verliert seine Schärfen. Die Kunst Helmut Landers ist ein triumphaler Befreiungsakt der Formen aus der Materie“, schreibt Herbert Heckmann 1999.

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Selbstbildnis (Ausschnitt), 1944, Öl auf Pappe, 27,5 x 20 cm

Nach der Kriegsgefangenschaft, in der er amerikanische Militärs portraitierte und Filmplakate malte, kehrte er 1946 nach Weimar zurück und studierte an der Hochschule für Baukunst und Bildende Kunst. Dort bestand er 1950 sein Diplom für Wandmalerei und absolvierte ein Volontariat in einer Mosaikfabrik, ein weiteres in einer Gobelinmanufaktur.

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Im Strandkorb (Ausschnitt), 1950, Öl auf Hartfaser, 118 x 65 cm

Da seine Arbeiten den Vertretern des sozialistischen Realismus missfielen, verliess Helmut Lander die DDR. Wobei er auch nicht begeistert war vom „Adenauerstaat“ Bundesrepublik, der die Wiederaufrüstung betrieb. Er sah ihn jedoch für sich als das kleinere Übel an. 1951 liess er sich in Darmstadt nieder, wo er heute noch lebt. Seine Frau Gisela, von ihm und allen Freunden liebevoll „Sternchen“ genannt, folgte später nach. Ein befreundeter Architekt gab ihm Quartier. Zunächst arbeitete er bei einem Weissbindermeister, dann wurde er Werkstattmeister für Mosaikarbeiten.

Diese Kunst wurde in den 1950er Jahren gerne an westdeutschen Bauten realisiert. Lander war 28 Jahre alt, als er den Auftrag für zwei grosse Wandmosaike am Darmstädter Woogplatz erhielt, die bis heute erhalten sind.

In dieser Zeit studierte er zusätzlich Baukeramik. 1956 erhielt er ein Stipendium des Kulturkreises der Deutschen Industrie, 1957 ein Reisestipendium der Ostfriesischen Reederei Rendsburg.

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Nigeria, 1959, Tusche / Aquarell, 59,5 x 46 cm

Und immer wieder gewann er erste Preise bei Wettbewerben für Kunst im architektonischen Raum. Im Internet findet sich eine Liste seiner Werke im öffentlichen Besitz. Anfangs sind es vor allem seine Wandmosaike und seine Beton- und Bleiglasfenster, die gefragt sind: Christuskirche Bochum 1959, Stephanuskirche Wanne-Eikel-Holsterhausen 1960, Stadtkirche Jever/Oldenburg 1964, Versöhnungskirche Duisburg-Großenbaum 1965, Zwölf Apostelkirche in Hildesheim-Neuhof 1967, alles Projekte, die er zusammen mit dem Architekten Professor Dieter Oesterlen verwirklichte. 1994 reizte ihn diese Aufgabe noch einmal: Er schuf für die Stadtkirche Friedberg / Hessen, einen gotischen Hallenbau aus den Jahren 1260 bis 1410, das Bleiglas-Fenster „Ökumene“, eine interessante, moderne Ergänzung zu den drei Kirchenfenstern aus dem Mittelalter und den neugotischen Schöpfungen von 1900/1901. Die Aufzählung zeigt nur einige Beispiele seiner kirchenbaulichen Arbeiten. Bis 1989 war er Mitglied im Kuratorium des Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Universität Marburg sowie Vorstandsmitglied der Darmstädter Sezession.

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Sich Bückender, 1977, Aluminium, 5 Teile, 190 x 50 x 60 cm

Seine Vorliebe gilt seit 1967 dem plastischen Arbeiten. Später gab er an der Technischen Hochschule Darmstadt sein Wissen und Können an Studenten weiter.

Sein innerer Motor, alle Material- und Verarbeitungstechniken kennenlernen zu wollen, ist unermüdlich. Eisen, Aluminium, Bronze, Acryl und Holz heissen sie. Noch in einem Alter, in dem sich andere zur Ruhe setzen, durchstreift er den Wald, sammelt Holz, um daraus Skulpturen zu erschaffen. In jüngeren Jahren war es das Eisen, das er bevorzugte. Es sind vor allem seine sozial- und gesellschaftskritischen Werke, die er in Eisen verwirklichte: „Execution II“, 1981, „Gefangener“, 1982, „Heldentod“, 1984, „Ikarus“, 1986 oder „Wir sind das Volk“, 1990.

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Execution II (Ausschnitte), 1981, Eisen, 4 Teile, 200 x 38 x 200 cm

Protest gegen die Unmenschlichkeit: In seinen Werken wehrt sich Helmut Lander gegen die Gewalt, gegen das Quälen von Menschen.

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Hand (aus der Skulptur „Berserker“), 2001, Aluminium

In seinem Atelier auf der Darmstädter Mathildenhöhe arbeitet er selbst körperlich schwer. Nichts überlässt er dem Zufall in einer anderen Werkstatt.

Vor 20 Jahren entschied eine Jury, Helmut Landers Entwurf für ein Mahnmal im Garten der Hephata-Klinik in Schwalmstadt-Treysa zu realisieren. Es erinnert an die über 300 psychisch kranken Menschen, die im Rahmen der „Euthanasie“-Aktion 1938/1939 verschleppt und ermordet wurden. Auch diese Skulptur ist aus Eisen und besteht aus mehreren Teilen. Sie wurde vor kurzem restauriert.

Immer wieder zeichnet Lander geistig kranke Menschen, denen er sich in seiner Arbeit verpflichtet fühlt.

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Mahnmal Hephata-Treysa, 1990 (Aufnahme aus dem Katalog „Helmut Lander“ anlässlich der Ausstellung in der Kunsthalle Darmstadt 1994)

Viel ist er gereist. Seine Reisebilder in den 1950erJahren sind abstrakt, in den 1980ern sind es Aquarelle in zarten Farben, unter anderem von Lanzarote, Algerien, Marokko und vom Jemen. Er begeistert sich für die Sahara, schreibt über Lehmbauten, dreht Filme.

Die Darstellung des weiblichen Körpers ist ein weiteres Thema, das ihn fordert. Er zeichnet, malt, fotografiert und gestaltet ihn in Skulpturen aus Bronze, Aluminium und Eisen: nie voyeuristisch, ohne jegliche „pornographischen Lüsteleien“.

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Liegende, 1996, Bleistift / Aquarell

„Starke Frauen“ hiess eine Ausstellung, die ihm die Galerie Lattemann in Mühltal-Trautheim an der Stadtgrenze von Darmstadt vor zehn Jahren zum 75. Geburtstag widmete. Das schön gestaltete Begleitbuch enthält den Beitrag „Die Form gibt der Materie Leben“ von Herbert Heckmann. Es war einer der letzten Texte des Frankfurter Schriftstellers und Journalisten, der viele Jahre Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung war. Landers Werke nannte er die „die Huldigung des Weiblichen schlechthin“. „Je länger man diese Figuren anschaut, umso mehr entdeckt man, wie sehr der weibliche Körper mit dem Spiel seiner Rundungen die männliche Eckigkeit in ihre Grenzen verweist.“

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Liegender Akt, 1996, Bronze, 64 x 120 x 10 cm (Foto: © Günther Jockel)

Helmut Lander ist am 31. Oktober 85 Jahre alt geworden. Die bereits lang andauernde Parkinson-Erkrankung hat ihm zwar die Sprache und die Beweglichkeit genommen, nicht aber seinen Schaffensdrang, seinen Humor, sein Denken. Er, der als junger Mann in den Krieg ziehen musste, hat sich künstlerisch gegen Terror, Folter und Machtmissbrauch, gegen Intoleranz und Menschenverachtung gewandt. „Unbequem, lästig zu sein, immer wieder zu hinterfragen, quer zu denken, sehe ich als Verpflichtung meiner Generation, der wir ohne Verbitterung und Resignation gerecht werden sollen.“ Dieser Verpflichtung ist er bis heute nachgekommen in einem vielfältigen, grossartigen Werk. Schade, dass die Regierenden Darmstadts Helmut Lander keine Hommage zukommen liessen.

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Helmut Lander (mit einer seiner Enkelinnen) am 4. Oktober 2009 vor der Galerie Lattemann in Mühltal-Trautheim

Nur noch wenige Tage, bis zum 8. November 2009, zeigt die Galerie Lattemann in Mühltal-Trautheim, Papiermüllerweg 7, eine Auswahl seiner Skulpturen, Aquarelle und Ölbilder (Mittwoch bis Freitag 16 bis 19 Uhr, Samstag 11 bis 14 Uhr und Sonntag 15 bis 18 Uhr).

Abgebildete Werke: © VG Bild-Kunst, Bonn

→ Hohe Auszeichnung für den Darmstädter Künstler Helmut Lander

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