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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Lyrische Abstraktion“: Marilena Faraci im Nebbienschen Gartenhaus

Die Musik und das Bild

Von Hanneke Heinemann
(Eröffnungsansprache)

Den Titel „Lyrische Abstraktion“ entlehnt Marilena Faraci einer künstlerischen Strömung nach 1945, deren Künstler Vorläufer und Vertreter des Informel sind.¹ Marilena Faraci kennt selbstverständlich diese Vorbilder und sieht Gemeinsamkeiten. Für ihre Bilder befragt sie jedoch nicht die Kunstgeschichte, sondern hauptsächlich ihr Inneres; sie setzt „sinnliche Erlebnisse und Emotionen“ um, wie sie schreibt. Gleichzeitig will sie ihre Arbeiten nicht als „malerische Psychogramme“ oder als chaotisches ungesteuertes „Ausleben von Gefühlen auf der Leinwand“ verstanden wissen. Gefühle spürt man allerdings in den Arbeiten – und diese sind lyrisch.

Das Wort „lyrisch“ verweist auf Verse, auf Gedichte, jedoch wird das Wort auch in der Musik, u.a. bei der Beschreibung von Singstimmen verwendet im Gegensatz zu „dramatisch“. So ist der Lyrische Sopran, dessen Vokalität durchaus pathetisch und sentimental sein kann, „von einer gebundenen und gesanglichen Linie, die von weicher und hingebungsvoller Musik unterstützt wird und von langsamen Rhythmus“² gekennzeichnet. Sind dies nicht auch Charakteristika, die man in Form und Farbe übersetzt in Marilena Faracis Bildern findet?

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(li.) o.T., Öl auf Pergament, 40 x 50 cm; (re.) o.T., Öl auf Pappe, 40 x 30 cm

In ihren Arbeiten gibt es kaum ein Bild ohne verspielte Linien, meist sind sie verbunden mit etwas oder sie verbinden selbst Flächen und Farben. Und sind die Farben nicht „dolce“ ohne „süßlich“ zu sein? Und der Rhythmus der Bilder ist zwar nicht immer „lento“, aber häufig von spannungsreicher Mäßigung, denn man spürt immer die Emotionen, aus denen sie entstanden sind.

Dieser anekdotisch-musikalische Einstieg ist nicht ohne Grund gewählt, denn zwischen Musik und abstrakter Malerei gibt es große Parallelen, nicht nur beim Schaffen, Komponieren und Interpretieren, sondern auch beim Rezipieren. Musik setzt im Gehirn Endorphine frei, die ein mehr oder weniger starkes Glücksgefühl hervorrufen, was man mit bildgebenden Methoden wissenschaftlich belegen kann. Das Ausführen und auch das Betrachten von Kunst kann auch diesen glücksbringenden Effekt hervorrufen, besonders wenn man offen den Bildern gegenübersteht und schon eine gewisse Seherfahrung hat, die am besten schon in der frühesten Kindheit angelegt ist.

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o.T., Öl auf Pappe, 40 x 30 cm

In dem kleinen Text, den Marilena Faraci für diese Ausstellung vorbereitet hat, beschreibt sie, wie ihre Arbeiten entstehen: “Es handelt sich um eine Synthese von Spontaneität und Kontrolle, also das durchaus bewusste Austarieren von Verstand und Gefühl. Es kommen teils zufällig, teils bewusst gesetzte Komposition zum Vorschein“. Hätte dieses Statement nicht auch von einem Komponisten kommen können? Sicherlich, denn Künstler und Komponist haben sehr ähnliche Anliegen.

In dem immer noch gültigen Hauptwerk, wenn es um abstrakte Kunst geht, dem Buch „Das Geistige in der Kunst“, beschreibt Wassily Kandinsky den Künstler als einen Schöpfer, „der seine innere Welt zum Ausdruck bringen will“³. Mit Neid stellt er fest, dass die „unmateriellste Kunst“, die Musik, viel natürlicher und leichter die Ziele erreichen kann. Die bildenden Künstler haben es also etwas schwerer. Theodor W. Adorno präzisiert, dass die Annäherung zwischen Malerei und Musik umso leichter gelingt, je mehr sich die Malerei vom Gegenstand befreit oder je direkter die Künste dem nackten Material sich gegenüber finden, mit dem sie arbeiten, ohne die Zwischenschicht eines Gegenstandes oder Idioms: Einheit nicht durch ein Drittes außerhalb der Sache.4 

Als ich das Bild am Eingang sah, meinen Blick in den Farben und Linien schweifen ließ, kam mir auf einmal Mendelssohns „Sommernachts“-Ouvertüre in den Sinn. Flirrende Linien, vibrierende Farbflächen, mal zurückgenommener, dann kräftiger Rhythmus, gedämpfte Farbigkeit und ein heiterer Gesamtklang. Eine Beschreibung, die sowohl auf die Musik als auch auf das Bild zutreffen kann.

Wenn es stimmt, dass Kunst das Innerste eines Künstlers zeigt, dann hat Marilena Faraci ein helles, wohltemperiertes Wesen mit einem ausgeglichenen Rhythmus bei innerer Bewegung.

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jeweils: o.T., Öl, Kreide auf Papier, 70 x 50 cm

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In ihre Bilder fließen nicht nur Langzeiterfahrungen, sondern auch häufig aktuelle Stimmungen bzw. Inspirationen. Sie beeinflussen den Verlauf der Linienführung und die Farbwahl, die jedoch immer unter Kontrolle des durch Erfahrung gespeisten Formgefühls steht. Wie bei den meisten abstrakt arbeitenden Künstlern entwickelt sich die nächste Form oder Linie aus der schon vorhandenen und bildet einen Prozess um „Wandel und Werden“, wie es Marilena Faraci ausdrückt. Häufig ist dieser Malvorgang mit dem Schreiben vergleichbar, besonders wenn ihr gestischer Duktus die Anmutung von Kalligrafie bekommt, wie in den Blättern auf Transparentpapier, die ihren besonderen Reiz durch das halbdurchscheinende Papier erhalten. Obwohl die Künstlerin schwarze Ölfarbe und in einigen Blättern sogar eine Farbe wie Blau verwendet, wird man unwillkürlich an asiatische Tuschmalerei erinnert, die mit Pinselläufen das Wesentliche sammeln wollen. Auf weiteren Blättern kann man das Wechselspiel von Farbe, Linie und Papier besonders gut beobachten. Und man sieht, dass die Blätter doch westlich, ganz vom Stile Marilena Faracis sind.

In dieser Ausstellung haben wir nicht nur Lyrisches, sondern durchaus auch etwas Dramatisches, also dunkles Timbre, und ein ernstes Register: Die Leinwand direkt gegenüber dem Eingang („Ohne Titel“) könnte mit dem wie ein Schatten empfundenen Schwarz am Rand bedrohlich und dem vielleicht Gefahr signalisierendem Rot bedrückend wirken, jedoch schafft es Marilena Faraci immer wieder, das Tragisch-Dramatische ins Lyrisches zu wenden: Gelb und Weiß hellen so auf, dass eine eher moderate Theatralik entsteht.

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o.T., Öl auf Papier, 40 x 50 cm

Die Bildergruppe, aus der auch unser Titelbild stammt, ist sehr malerisch; nicht nur wegen der leuchtenden Farbigkeit von Gelb und Orange, sondern wegen der Verwischungen innerhalb des Farbklanges und in den Übergängen auch zum Schwarz hin, die eine Atmosphäre bilden können, die an Lichtspiele in Landschaftsbildern erinnern können. Durch gestische Linien, die Verwindungen und netzartige Formationen bilden, wird der gegenständliche Eindruck jedoch zurückgenommen und die Konzentration wieder auf das Geschehen in den Malschichten gerichtet. Über dem gelb-orangen Sfumato sammeln sich vergleichsweise pastos aufgetragene Pinselstriche, die sich aus der Fläche lösen und eine Schar bilden, die sich über das Zentrum des Bildes zieht. Der erzielte Eindruck ist eine pastellene Zartheit, für die man in der Notenschrift das Wort „dolce“ (weich) eintragen würde, um den Musiker zu einer besonders einfühlsamen Interpretation zu bewegen. Die kräftigen orangen Akzente sind so gesetzt, dass sie die Gesamtkomposition unterstützen ohne einen misstönigen dynamischen Ausschlag zu erzeugen. Sie interagieren mit dem gestisch-gitterartigen Gespinst und werden so Teil einer aus wenigen Klangfarben evozierten Harmonie, die in der Tat bestens geeignet ist, um den Titel „Lyrische Abstraktion“ zu illustrieren.

In den anderen Bildern der Serie mit ihrer bläulichen Klangfarbe erzeugen Schwarz und Grau mit einem höhenden Weiß und Hellblau eine Himmelanmutung, die allerdings von gestisch-kalligraphischen Zeichen aufgelöst wird. Es sind pure Abstraktionen, deren Elemente das Auge einfangen und durch die Linien, Farbverläufe und Flächen mitnehmen.

Pan1

jeweils: o.T., Öl auf Karton, 40 x 50 cm

Die „Gelbe Serie“ in Marilena Faracis bevorzugten Farben Gelb und Orangegelb zeigen weitere Variationen des besonders Malerischen. Sie strahlen eine Heiterkeit aus, die mit einer gewissen Ernsthaftigkeit gepaart ist – vielleicht ein „Allegro sostenuto“. Hier zeigt sich, dass Marilena Faraci mehrere Register beherrscht und sie sicher setzen kann.

Ein weiteres Merkmal ihrer Arbeiten betrifft das Material. Sie hat zwar mit der Ölfarbe eine feste Konstante, diese kombiniert sie aber immer wieder mit anderen Materialien oder experimentiert mit neuen Farben wie bei den Bitumen-Bildern. Diese haben nicht nur lyrische, sondern auch „dramatische“ Elemente. Ihre Farbigkeit besteht einzig aus Braun, das sich an einigen Stellen fast zu einem Schwarz konzentriert. Das liegt am Material Bitumen, das unpoetisch u.a. im Straßenbau verbaut wird, aber einen märchenhaften Zauber erhält, wenn man es mit seiner deutsche Übersetzung „Erd-Pech“ benennt. Die Künstlerin schätzt es, weil es sich anders löst und trocknet als Öl und auch anders glänzt. Auf den Blättern erzeugt sie Abschattierungen von Tiefbraun zu einem lichten Braun, in die sie Flecken als Kraftzentren setzt und sie mit ruhig schwingenden Linien umspielt. Auseinanderlaufende Ränder rhythmisieren und erzeugen einen mal lauten, mal leisen Grundton. Der Kontrast von Zartheit und Abgründigkeit der Farbe ist mitunter groß, jedoch herrscht eine gemäßigte Dynamik vor, die man trotz der starken Punktsetzungen als „adagio“ oder „moderato“ bezeichnet könnte.

5-25

jeweils: o.T., Öl auf Karton, 40 x 50 cm

9-24

Marilena Faraci hat zweifelsohne ihren eigenen Stil gefunden, der sich in allen Werken zeigt, seien sie auch noch so unterschiedlich. Immer wieder verbindet sie sicher gestische Linien, malerische Flächen und meist reduzierte Farbklänge. Was es spannend macht, sie in ihrem Atelier zu besuchen, ist, dass sie immer wieder neue Materialien ausprobiert wie beispielsweise – wie oben beschrieben – Bitumen. Sie experimentiert allerdings auch mit unterschiedlichen Untergründen.

In der „Packpapier-Serie“ wird der braune packpapierähnliche Untergrund in die Bildfindung einbezogen: Die Ölfarbe diffundiert in das Papier hinein und bildet einen Schatten der Blau-und-Weiß-Formationen, die durch schwarze gestische Striche eingefangen werden. Das farblose Öl verstärkt die Farbigkeit des Papiers und bringt seine Textur zur Geltung. Mit den horizontalen Streifen bringt es ein bei Marilena Faraci eher ungewöhnliches Element in die Zeichnung, die Abdunkelung des Papieres unterstützt das Zusammenführen der malerischen Elemente und verstärkt den Zusammenhalt und die Konzentration der Blätter.

7-21

o.T., Öl auf Packpapier, 20 x 30 cm

Bis auf wenige Ausnahmen haben alle in dieser Ausstellung gezeigten Arbeiten eine reduzierte Tonalität. Diese Reduktion auf wenige Farben führt in Regel meist zu einer größeren Konzentration auf das bildnerische Geschehen, sei dies nun eher malerisch oder grafisch. Die blau-graue „Klecksbilder-Serie“ wirkt auf dem ersten Blick vielleicht wie eine mit Schablone entstandene Grafik, so abgegrenzt zum Untergrund sind die Flächen. Beim genaueren Hinsehen sieht man jedoch, dass sie gemalt sind. Die recht flüssige Farbe ist nicht ganz deckend, so kommt es an den Schnittstellen der Farbflächen zu Durchscheinungen, die die grau-blau-schwarzen Ballungen zusammenbinden. Die gestisch-sammelnde schwarze Linie ist noch einmal eine Bekräftigung dieses Zusammenhaltes, die das Fließen und Ausdehnen der Flächen unterstreicht.

Die beiden zeichnerischen Serien sind kammermusikalisch. Die wenigen Instrumente kann man klar heraushören, keines spielt sich hervor und erringt die Oberhand. Vielleicht mehr als die anderen scheint die hellgelbe Reihe wohl doch eine Geschichte zu erzählen, denn in zwei Blättern scheinen die meisten Betrachter Gesichter zu erkennen. Und wo man zwei Gesichter erkennt, setzt man sie in Beziehung und man beginnt, eine Geschichte zu imaginieren.

Abstrakte Kunst ist nach mehr als 100 Jahren längst in der Kunstgeschichte angekommenen und wird zweifelsohne akzeptiert. Trotzdem scheint sie viele Betrachter immer noch vor ein grundsätzliches Verständnisproblem zu stellen, das des Gegenstandes.

A-31

jeweils o.T., Öl auf Papier, 40 x 50 cm

B-32

Wir haben die Tendenz, auch in abstrakten Gebilden und natürlich entstandenen Spuren und Formationen Bilder zu sehen. Wir tun es häufig, wenn wir uns beispielsweise auffällige Wolken oder den zufälligen Abdruck eines Schwammes auf einer Mauer ansehen, von dem Leonardo da Vinci berichtet. Das menschliche Gehirn neigt dazu, diffuse und scheinbar unvollständige Wahrnehmungsbilder und -strukturen zu komplettieren und vertrauten Mustern und Formen anzugleichen. Dabei scheinen die Art und Gestalt der Trugbilder von der Erwartung des Gehirns abzuhängen. Sich von diesem Bildersehen freizumachen, scheint sehr schwer zu sein, weil es etwas Vertrautes schafft, das uns Sicherheit gibt, in der wir uns wohlfühlen.

Es schränkt jedoch auch ein. Für Hilma af Klint, eine Pionierin der Abstraktion, die gerade mit vielen Ausstellungen geehrt wurde, „ist die abstrakte Darstellung reizvoller bzw. herausfordernder als Gegenständliche Kunst. Sie regt die menschliche Fantasie wesentlich stärker an. Ein Bild, das nicht auf den ersten Blick seinen Inhalt preisgibt, beschäftigt den Betrachter auf andere Art und Weise. Ein weiterer Vorteil ist die beinahe grenzenlose Gestaltungsmöglichkeit, die sich frei von jeglichem Realitätsanspruch entfalten kann“.

Dem stimmt Marilena Faraci zu. Ihre Arbeiten sollen dazu einladen, „die eigene Freiheit mit der des Bildes in Einklang zu bringen und mit diesem in einen Dialog zu treten.“ Sie führt aus, dass in ihren informellen Bildern „ästhetische, bildhafte Analogien zur Freiheit im Leben“ entstehen, die für sie das höchste Gut in unserer Gesellschaft ist.

In dieser Ausstellung hat die Freiheit den Klang von Musik, und diese ist lyrisch.

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¹ Einige Künstler gehören der „Ecole de Paris“ an, der Pariser Schule, von denen vielleicht Georges Matthieu der bekannteste ist, von dem wohl auch der Begriff stammt. Aber auch Namen wie Jean Miro und die von mir geschätzten Deutsche Hans Hartung und WOLS vereinigen sich unter dem Namen

² „dalla linea legata e cantabile, sostenuta da musiche dolci e languide di ritmo lento“ – wie es auf der italienischen Wikipedia heißt („Soprano lirico“)

³ Wassili Kandinski: „Das Geistige in der Kunst“, Bern (Benteli) 2004 (revidierte Neuauflage), S. 58

4 zit. nach Aust-Kat. Klang der Bilder, Hrsg. Karin v. Maur, Stuttgart (S. 354)

L1310063-B500

(v.l.) Hanneke Heinemann, Kunstwissenschaftlerin, Laudatorin, und Marilena Faraci im Nebbienschen Gartenhaus (Foto: Erhard Metz)

Marilena Faraci, „Lyrische Abstraktion“, Frankfurter Künstlerclub im Nebbienschen Gartenhaus, bis 22. Mai 2016

Werke und Fotografien © Marilena Faraci

→ Marilena Faraci. Malerin

 

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