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FeuilletonFrankfurt

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PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Passage Pommeraye: Ein magisch-nostalgischer Ort in Nantes

Von Petra Kammann

Die Passage Pommeraye in Nantes ist eine der eindrucksvollsten und schönsten auf drei Ebenen konstruierten Passagen Europas. Sie wurde auf Fels und Sand gebaut, um das zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu entstehende Kulturviertel rund um die Place Graslin mit dem klassizistischen Théâtre Graslin und seinen korinthischen Säulen mit dem zehn Meter tiefer liegenden Elendsviertel der Unterstadt zu verbinden. Vorbild für die Anlage waren die Pariser Passagen, typische Erfindungen der „Großstadt des 19. Jahrhunderts“, welche die dunklen, in die Häuser hinein gebauten Läden abgelöst hatten. Nun wurden die Läden miteinander verbunden.

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Wer einmal nach Nantes kommt, sollte sich unbedingt von der Passage Pommeraye inspirieren lassen

Über einer grazilen Eisenkonstruktion wurden Glasdächer gespannt, welche Licht von oben spenden. Die Passagen wurden außerdem zum Schauplatz der ersten Gasbeleuchtung, so dass sie auch bei schlechtem Wetter zum Flanieren einluden, um sich die in den Geschäften ausgebreiteten Waren anzuschauen.

In den Passagen gab es Boutiquen aller Art, Cafés, Restaurants, Mode, Buch- und Blumenläden. Sie wurden zu einem Zentrum des Handels mit Luxuswaren, was viele zeitgenössische Dichter wie Charles Baudelaire („A une passante“) und Künstler zu Kommentaren und Darstellungen anregte. Das Transitorische des Augenblicks der für die Großstadt typischen Passantin wurde auch zum Gestaltungsprinzip für die neue Kunst des Impressionismus.

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Frisch renoviert erstrahlt die Passage Pommeraye in alter Pracht. Lèche-vitrine, der Schaufensterbummel, ist auch heute hier noch en vogue

An solchen Orten waren auch neue Begegnungen möglich. Die eleganten Damen konnten ihrer „Lèche-Vitrine“ fröhnen, was mit dem unsinnlicheren „Schaufensterbummel“ nur unzureichend übersetzt ist, die elegant herausgeputzten Herren, die Flaneure, konnten beim Flirt verweilen. Man denke nur an Heinrich Heines erste Begegnung mit der Blumenverkäuferin in der Passage des Panoramas: „Mit dem Französischen haperte es etwas bei meiner Ankunft; aber nach einer halbstündigen Unterredung mit einer kleinen Blumenhändlerin im Passage des Panoramas war mein Französisch, das seit der Schlacht bei Waterloo eingerostet war, wieder flüssig, ich stotterte mich wieder hinein in die galantesten Konjugationen und erklärte der Kleinen sehr verständlich das Linnéische System, wo man die Blumen nach ihren Staubfäden einteilt; die Kleine folgte einer anderen Methode und teilte die Blumen ein in solche, die gut röchen und in solche, welche stänken. Ich glaube, auch bei den Männern fand sie dieselbe Klassifikation. Sie war erstaunt, dass ich trotz meiner Jugend so gelehrt sei, und posaunte meinen gelehrten Ruf im ganzen Passage des Panoramas“ (aus: Bernd Kortländer: Mit Heine durch Paris. Literarische Spaziergänge, Reclam).

Als die prächtig dekorierte Passage Pommeraye, die der Investor Louis Pommeraye mit den Architekten Jean-Baptiste Buron und Hippolyte Durand Gasselin in Nantes nach Pariser Vorbildern 1840 bis 1843 bauen ließ und die 1843 unter dem Bürgerkönig Louis Philippe mit 66 Läden eröffnet wurde, war ihr zunächst ein unmittelbarer Erfolg beschieden, der allerdings kurzfristig durch die Wirtschaftskrise 1846/1847 unterbrochen wurde und den Notar Pommeraye selbst finanziell ruinierte. Aber die Faszination an der Passage kehrte schnell zurück.

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Auf drei Ebenen werden die Höhenunterschiede durch eine Treppe miteinander verbunden

Das überdachte Stiegenhaus bestach durch die monumentale Treppe, welche die Boutiquen über einen Höhenunterschied von 9,40 Meter auf drei Etagen miteinander verband. Und die allegorischen Terrakotta-Figuren, welche den Handel, die Industrie, die Schönen Künste, die Wissenschaften und den Seehandel an den verzierten Eisengeländern entlang der Treppe symbolisierten, spiegelten den Reichtum der Stadt Nantes wider ebenso wie die eingearbeiteten Medaillons, auf denen die illustren Persönlichkeiten der Stadt dargestellt sind.

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Allegorische Figuren flankieren die Treppe

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Die Passage überstand die Kriege und selbst die Bombardements in Nantes im Jahre 1943. In den 1960er und 1970er Jahren wurde sie leicht verändert und der Wohnsituation angepasst, dort hatten u.a. Studenten ihr Domizil. Nach und nach wurde sie jedoch baufällig und renovierungsbedürftig. So wurde sie schließlich von 2013 bis 2015 sehr sorgfältig renoviert – u.a. wurden in die ehemaligen Gaslaternen LED-Strahler eingebaut – , so dass die Ladenpassage zwischen der Rue de Crébillon und der Rue Senteuil heute wieder in altem Glanz erstrahlt.

Dass durch diesen magischen Ort Künstler aller Art angezogen wurden, verwundert nicht. Als Gustave Flaubert 1847 Nantes besuchte, war die Passage der Ort, der ihn am meisten beeindruckte, weil er dort chinesische Läden, türkische Sandalen und ägyptische Korbwaren, Sonnenschirme, Laternen und exotische Ingredienzen aller Art vorfand. Für den bis zu seinem Tod mit Agnès Varda verheirateten Filmemacher Jacques Demy („Jacquot de Nantes“) war die Passage Pommeraye einer der faszinierendsten Orte mit ihrer prunkvollen Spiegelwelt, unter deren gläsernem Himmel der Regisseur von „Die Regenschirme von Cherbourg“ Welterfahrung in der Abgeschlossenheit eines Interieurs sammeln konnte. In einem Trödelladen erwarb er in der Passage Pommeraye seine erste Kamera, die er auch vor Ort anwendete. In seinen Filmen „Lola, das Mädchen aus dem Hafen“ und „Ein Zimmer in der Stadt“ wurde die Passage zum mythischen Schauplatz unverhoffter Begegnungen und wehmütiger Lebenstriumphe.

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Artists in Residence geben dem gegenüberliegenden Hôtel Pommeraye ständig alljährlich neue Impulse.

Fotos: Petra Kammann

→ Tolle Tage – „La folle Journée 2016“ in Nantes
→ Nantes und die „Küste der Liebe“ – ein Familienziel

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