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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

“New Frankfurt Internationals” 2015: “Solid Signs” (4)

Florian Haas: „Frankfurter Totentanz“ im Frankfurter Kunstverein

Von Erhard Metz

Es ist das „Opus magnum“ der „New Frankfurt Internationals 2015 Solid Signs“: zunächst einmal allein schon von seiner schieren materiellen Grösse her – nimmt die monumentale Darstellung doch eine gesamte Wandbreite im Obergeschoß des Frankfurter Kunstvereins in Anspruch. Und zweitens: kein anderes Werk dieser Gemeinschaftsausstellung der Kunstvereine von Frankfurt und Wiesbaden dürfte bei den Apologeten von immerwährendem Wachstum, Finanzkapitalismus und Globalisierung auf soviel Kritik, ja Missbilligung, Nichtachtung oder gar Häme stossen. Dies vor allem aktuell vor dem Hintergrund, dass die hochkriminellen Ausschreitungen im Rahmen der jüngsten „Blockupy“-Aktionen vom März dieses Jahres all die sehr wohl nachvollziehbaren gesellschaftspolitischen Thesen und Forderungen dieser und vergleichbarer anderer Bewegungen nachhaltig desavouiert haben.

Florian Haas‘ Arbeiten darf man einer „politischen Kunst“ zurechnen. Aber wann ist Kunst politisch? Wenn sie gegen Herrschaft agiert und opponiert? Wenn sie sich umgekehrt in den Dienst von Herrschaft stellt? Man muss sich ins Bewusstsein rufen, dass nicht wenige und gerade hoch anerkannte Küstler in Europa über die Jahrhunderte hinweg und durchaus höchst bereitwillig im Dienst politischer – weltlicher wie geistlich-kirchlicher – Herrschaft standen, diese Herrschaft dem gemeinen Volk gegenüber versinnbildlichten und als gottgegeben schönfärbten und sich dafür von der Obrigkeit feiern und eben nicht gerade schlecht alimentieren liessen. Nein, Florian Haas hat mit diesen nichts gemein – er ist ein oppositioneller und damit fast schon vorgegeben ein unbequemer Künstler.

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↑↓ Florian Haas, Frankfurter Totentanz, 2015, Tapete, 12,70 x 4,65 m; Ausstellungsansicht, Foto: Norbert Miguletz; © VG Bild-Kunst, Bonn

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wie oben, Ausschnittansichten, © VG Bild-Kunst, Bonn

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Zugegeben: sein „Frankfurter Totentanz“ ist skurril, drastisch, in vielem sarkastisch, kompromisslos-undiplomatisch. Kunst aber darf all das sein.

Was nun ist ein Totentanz, namentlich in der bildenden Kunst? Der Totentanz geisselt die Überheblichkeit, die Selbstüberschätzung, die Hybris, die Empathielosigkeit, die egoistische wie letztendlich in den Untergang führende materielle Raffgier, die dem Menschen innewohnen. Auf das 14. Jahrhundert geht er zurück, er stellt den Sieg des Todes über das strebende irdische Menschenleben dar. Wir denken an das „Memento mori“ des 1. Petrus-Briefes: „Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen“. Wir denken an das Gastmahl des prassenden und die Gottheit verhöhnenden Belsazar, die zu spät erkannte Flammenschrift an der Wand mit dem darauffolgenden Untergang dessen Reiches; an Hugo von Hofmannsthals „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“, in Salzburg jedes Jahr zwar einem „jedermann“, vor allem aber einem sich elitär gerierenden Festspielpublikum dargeboten. Haas übersetzt das alles, den so verstandenen Totentanz, in unsere gesellschaftliche Gegenwart.

Berühmte Vorbilder hat Florian Haas: unter den aberhunderten von Motiven in Malerei, Zeichnung und Druckgrafik sei hier der „Totentanz“ von Hans Holbein dem Jüngeren aus dem Jahr 1526 genannt. Das Bildmotiv bedarf damals wie heute keiner Erläuterung:

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Hans Holbein d. J. (1497/98 – 1543), Totentanz, 33 Holzschnitte, Blatt VIII „Der König“, 1526; Bildnachweis wikimedia commons

Und auch der grösste Sohn der Stadt, Johann Wolfgang Goethe, widmete dem „Totentanz“ im Jahr 1813 seine bekannte Ballade, aus der wir auszugsweise zitieren:

„…
Das reckt nun, es will sich ergetzen sogleich,
Die Knöchel zur Runde, zum Kranze,
So arm und so jung, und so alt und so reich;
Doch hindern die Schleppen am Tanze.
Und weil hier die Scham nun nicht weiter gebeut,
Sie schütteln sich alle, da liegen zerstreut
Die Hemdlein über den Hügeln.

Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein,
Gebärden da gibt es vertrackte;
Dann klippert’s und klappert’s mitunter hinein,
Als schlüg‘ man die Hölzlein zum Takte
…“

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Frankfurter Totentanz, Detailansichten, © VG Bild-Kunst, Bonn, Foto Florian Haas

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Viel zu erklären oder gar zu interpretieren gibt es bezüglich dieser fast 13 Meter in der Breite messenden Monumentalarbeit nicht, weil die einzelnen Motive deutlich für die künstlerisch-politische Intention sprechen. Die Wandarbeit hat Haas eigens für die diesjährigen „New Frankfurt Internationals“ geschaffen. Bewunderswert der Detailreichtum auf der riesigen Fläche, am Computer in minutiöser Kleinarbeit entwickelt.

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Frankfurter Totentanz, Detailansichten, © VG Bild-Kunst, Bonn, Foto Florian Haas

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Florian Haas ist ein weit über die Stadt Frankfurt am Main hinaus renommierter und geschätzter Künstler. Dem Frankfurter Publikum ist er insbesondere durch seine Ausstellungen in der stets für Qualität bürgenden Galerie Heike Strelow und im Frankfurter Kunstverein bekannt. Legendär sind die Serien seiner handwerklich altmeisterlich gemalten Pilz-Bilder, deren allegorischer Charakter die Vielfalt menschlicher Beziehungsgeflechte und gesellschaftlicher Befunde ebenso kritisch wie humorvoll-subversiv widerspiegelt – subversiv in Bezug auf die Tatsache, dass der weitaus grösste Teil dieser zwischen der Tier- und der Pflanzenwelt angesiedelten Organismen – dem Betrachter verborgen – unter der Erdoberfläche lebt und sich dort expansiv entwickelt.

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Frankfurter Totentanz, Detailansichten, © VG Bild-Kunst, Bonn, Foto Florian Haas

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Bekannt und beliebt beim Publikum ist schliesslich das Bienen-Projekt der Künstlergruppe „finger“, das Florian Haas gemeinsam mit Andreas Wolf als „Stadtimkerei“ seit 2008 Jahr für Jahr auf dem Dach des Frankfurter Museums für Moderne Kunst installiert: etwa 650.000 Bienen in zwölf Bienenstöcken sorgen für den Frankfurter „Museumshonig“. Mit dem Projekt und einem entsprechenden Lehrpfad auf dem Museumsdach machen Haas und Wolf auf die vielfältigen Überschneidungen gesellschaftlicher, tierwirtschaftlicher und künstlerischer Produktion aufmerksam.

“New Frankfurt Internationals” 2015 “Solid Signs”: Doppelausstellung im Frankfurter Kunstverein und im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden, bis 26. April 2015

Abgebildete Werke und Fotos (soweit nicht anders bezeichnet) © Florian Haas

→ “New Frankfurt Internationals” 2015: “Solid Signs” (5)
→  “New Frankfurt Internationals” 2015: “Solid Signs” (1)

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