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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„New Frankfurt Internationals“ 2015: „Solid Signs“ (1)

Doppelausstellung im Frankfurter Kunstverein und im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden

Von Erhard Metz

Eine geballte Ladung Englisch im Titel und eine gemeinsam konzipierte Doppelausstellung der Kunstvereine von Frankfurt am Main und Wiesbaden: Die aktuellen „New Frankfurt Internationals“ – es ist seit 2010/2011 die zweite Veranstaltungsreihe dieser Art – setzen mit Unterstützung durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain ein besonderes Ausstellungsprojekt fort, das seinerzeit, vom Frankfurter Kunstverein initiiert, mit dem Museum für Moderne Kunst MMK als Kooperationspartner und damals noch unter Mitwirkung der Städelschule und der FAZ-Rhein-Main-Zeitung begonnen wurde (FeuilletonFrankfurt berichtete auszugsweise, s. Liste entsprechender Beiträge am Ende).

Lautete damals der Titel „Stories and Stages“ – Wandel und Zukunft des Erzählerischen im Bereich der bildenden Kunst als inhaltlicher Fluchtpunkt – , so heisst heute das Ausstellungsthema „Solid Signs“ – solide, feste Zeichen also, Signale, Manifestationen, Wegmarken, wobei der künstlerische Umgang mit Material und Techniken im Fokus steht.

Bereits die programmatischen Ausführungen der neuen Direktorin des Frankfurter Kunstvereins, Franziska Nori, liessen aufhorchen: Schon länger sei ein Interesse vieler Künstler an der „physischen Präsenz von Kunstwerken und der Wiederbelebung traditioneller Techniken und Materialien“ zu beobachten. „Gerade eine jüngere Künstlergeneration setzt sich wieder verstärkt mit der Materialität von bildnerischen Mitteln und deren jeweiligen Ausdrucksqualitäten auseinander. Dabei hat für sie die stoffliche Dimension die gleiche Wichtigkeit wie die Ausführung und der Inhalt eines Kunstwerkes“, betonen die Kuratorinnen Lilian Engelmann und Elke Gruhn.

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(v.l.) Lilian Engelmann, Kuratorin des Frankfurter Kunstvereins, Elke Gruhn, Vorstandsvorsitzende, künstlerische Leiterin und Kuratorin des Nassauischen Kunstvereins Wiesbaden, und Franziska Nori, seit November 2014 Direktorin des Frankfurter Kunstvereins; Foto: Hans-Bernd Heier

Eine Wieder-Betonung physischer Präsenz von Objekten und Dingen in der Kunst erscheint in vielem als ein Gegenentwurf zu einer Kunst, die sich mehr und mehr von digitaler Technik bestimmter Mittel und Methoden bedient. Statt etwa ausschliesslich auf Digitalfotografie und Videotechnik zu setzen, wenden sich Künstler wieder der analogen Kamera mit „Chemie-Film“ zu, Papier und Karton, Holz und Gips werden als Materialien wiederentdeckt und auf ihre Möglichkeiten hin befragt.

„Konzeptuellen Kunstansätzen nach verweist das Kunstwerk als Repräsentation auf etwas Abwesendes; es steht als Zeichen für einen künstlerischen Gedanken oder eine Idee und muss nicht zwingend (vom Künstler selbst) ausgeführt werden. Im Vordergrund dieser Verschiebung von visuellen hin zu semantischen Aspekten stehen dabei Konzepte und Ideen, die zum Beispiel als Skizzen oder Anleitungen vorhanden sein können und vor allem die Vorstellungskraft des Betrachters ansprechen sollen. Eingesetzte Materialien oder Techniken haben in diesem Sinne vor allem eine dienende Funktion …“ schreiben Lilian Engelmann und Elke Gruhn. „In letzter Zeit ist ein erneuter Wandel zu beobachten: Die in der Welt vorhandenen materiellen Mittel, ihre Technologien und Physiologie sind in unterschiedlichen Wissensbereichen wieder von Interesse. Auch eine jüngere Künstlergeneration setzt sich in ihrer Praxis mit der Materialität von bildnerischen Mitteln und deren jeweiligen Ausdrucksqualitäten auseinander …“

Nun soll in den zweiten „New Frankfurt Internationals“ mit „Solid Signs“ ein deutliches Zeichen für junge Kunst mit grossem Zukunftspotential von Künstlerinnen und Künstlern gesetzt werden, die einen biografischen Bezug zu Frankfurt und zur Rhein-Main-Region aufweisen. Zu sehen sind im Frankfurter Kunstverein sowie im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden Malerei, Zeichnungen und Skulpturen, Fotografien und Videos, Installationen und Performances von 41 Künstlern bzw. Künstlergruppen; einige Werke wurden eigens für diese Doppelausstellung geschaffen.

„Dieses besondere Ausstellungsprojekt zählt durch seinen konzeptuellen Ansatz und der ortsübergreifenden Ausführung in den beiden Kunstvereinen zu den kulturellen Leuchtturmprojekten der Region“, sagt denn auch der Frankfurter Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth. Und Helmut Müller, Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, fügt hinzu: “ ‚New Frankfurt Internationals‘ vernetzt zwei wichtige Institutionen für zeitgenössische Kunst in der Region und setzt ein starkes Signal für die hier lebenden Künstlerinnen und Künstler.“

Ergänzend einige kurze biografische Notizen zu der seit November 2014 als Nachfolgerin von Holger Kube Ventura amtierenden Direktorin des Frankfurter Kunstvereins, der – 1829 gegründet – zu den ältesten seiner Art in Deutschland zählt: Franziska Nori, 1968 in Rom geboren, studierte an der Goethe-Universität Kulturanthropologie, Romanistik und Kunstgeschichte. Sie arbeitete als freie Kuratorin unter anderem am Wiener Museum für Moderne Kunst, am Museo Reina Sofía in Madrid sowie an der Schirn Kunsthalle und leitete die neue Abteilung für digitale Kunst im hiesigen Museum für Angewandte Kunst. Zuletzt war sie Direktorin für das künstlerische Programm des Palazzo Strozzi in Florenz. Sie ist Gastprofessorin für Museologie und kuratoriale Praktiken zeitgenössischer Kunst an der Marist University in Florenz.

Im Laufe der kommenden Wochen wird FeuilletonFrankfurt einige künstlerische Positionen aus den Ausstellungen in Frankfurt und Wiesbaden vorstellen. Beginnen wir mit der  – neben dem überwältigenden „Frankfurter Totentanz“ von Florian Haas – wohl augenfälligsten Arbeit:

Helga Schmidhuber: „Does Voodoo work? II“, 2015

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„Does Voodoo work? II“, 2015, Ausstellungsansicht, Installation, Malerei, Drucke, Paravent, Tierköpfe, Sound, © VG Bild-Kunst, Bonn

Helga Schmidhuber lädt den Betrachter ein, in ihrer vom Ausstellungssaal durch einen vielteiligen Paravent abgeschirmten Installation Platz zu nehmen: in einem bunt gestreiften, thronartigen Sessel, dessen oberes Lehnenende mit zwei geschwungenen Hörnern versehen ist, der Blick geht vom Sessel auf ein reich mit Bändern und Ketten geschmücktes, niederknieendes Jungtier mit schwarzem Fell. Man denkt an die Erzählung in Mose 2, Kapitel 32, als das Volk, von Mose vermeintlich verlassen, zu Aaron spricht: „Auf, mach uns einen Gott, der vor uns hergehe!“ Und Aaron bildete ein Kalb aus Gold und baute einen Altar vor ihm, und das Volk brachte Brand- und Dankopfer dar, und die Menschen assen und tranken und standen auf, „um ihre Lust zu treiben“. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Auf Geheiss des Mose erschlugen die Söhne Levi „Bruder, Freund und Nächsten … dreitausend Mann“.

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↑↓ „Does Voodoo work? II“, 2015, Ausstellungsansichten (Details), © VG Bild-Kunst, Bonn

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Doch nicht vom alttestamentarischen Exodus will uns die Künstlerin erzählen, wenn sie uns – in ihrer multimedialen Installation aus Malerei, Fotografien, Collagen und Assemblagen, Tierfiguren, skurril mit allerlei Gegenständen verbundenen Tierschädeln und einem Panoptikum surrealer Kompositionen – mit einer Welt aus Voodoo-Zauber umgibt, in dem ebenfalls der Glaube an eine Gottheit, Feste, Tänze und Tieropfer an zentraler Stelle stehen. Vielmehr lässt sie im Betrachter Gedanken wach werden an archaische Kulte mit all ihrem Blutvergiessen, an die uralten Mythen und Erzählungen vom einst paradiesischen Miteinander der Geschöpfe, von Mensch und Tier; Gedanken aber auch an die Entfremdung der Geschöpfe in der Evolution, an Dämonen und Ängste, Schuld, Sühne und Erlösung, Aufklärung, Revolution und Emanzipation. Alles aber bleibt in einer gewissen Schwebe ambivalent: Zum Kult gehört das Okkulte, zur anbetenden Verehrung das Abschlachten, zu aller Erkenntnis des Menschen das Geheimnis von Natur und schöpferischer Entfaltung. Das geschmückte schwarze Tier: ein zu verehrender, anzubetender Fetisch oder ein Opfer kurz vor dem archaischen Schlachtungs- und Verbrennungsritual auf einem Altar?

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↑↓ „Does Voodoo work? II“, 2015, diverse Ausstellungsansichten (Details), © VG Bild-Kunst, Bonn

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„Does Voodoo work? II“, 2015, Ausstellungsansicht (Detail), © VG Bild-Kunst, Bonn

Man muss sich, wie stets in der Kunst, Zeit nehmen, sich in den Sessel-Thron setzen, das rätselhafte Tier vor Augen, die collagierten Paravents betrachten, die Darstellungen und Skulpturen um sich herum Einfluss nehmen lassen. Es bleibt nicht ohne Wirkung. Dann aber das:

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„Does Voodoo work? II“, 2015, Ausstellungsansicht (Detail), © VG Bild-Kunst, Bonn

Holt uns der in der Frankfurter Kunstszene wohlbekannte Herr von seinem Platz in der Assemblage in die Wirklichkeit des Kunstbetriebs zurück? Beobachtete er nun kritisch das Treiben der Künstlerin, so setzte sie ihm flugs einen Federpuschel vor das Gesicht. Und sie bleibt die Herrin des Geschehens, macht den Frankfurter kunstbetrieblichen Übervater zu einem Element ihres eigenen künstlerischen Werkes. Eine geniale Intervention, eine feine Ironie der Künstlerin, die verfremdet und Distanz schafft – zwischen dem Betrachter, ihrem Artefakt und ihr selbst.

Es ist eine grossartige, fesselnde, faszinierende Arbeit mit einem schier unerschöpflichen Reichtum an Details – „physische Präsenz“ allüberall. Im besten Sinne ein „Solid Sign“!

Helga Schmidhuber, 1972 in Wiesbaden geboren, studierte Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Wiesbaden und anschliessend Freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf bei den Professoren Dieter Krieg und Albert Oehlen (dessen Meisterschülerin sie wurde). 2005/2006 übernahm sie einen Lehrauftrag für „Künstlerische Grafik“ an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Helga Schmidhuber unternahm als Stipendiatin und Artist in Residence Reisen nach Israel, Österreich, Island, Kanada sowie Spanien und erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Sie lebt und arbeitet in Wiesbaden und Bad Schwalbach.

Ihre jetzt im Frankfurter Kunstverein gezeigte Arbeit entwickelte Helga Schmidhuber aus ihrer Installation im Museum Wiesbaden im Rahmen der Sonderausstellung „K.O. Götz, Oehlen, Knaus und Paradiesvögel„.

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Helga Schmidhuber in ihrer neuen Installation im Frankfurter Kunstverein; Foto: Hans-Bernd Heier

Fotos: Hans-Bernd Heier (2) und Erhard Metz

→  “New Frankfurt Internationals” 2015: “Solid Signs” (2)

Siehe auch „New Frankfurt Internationals“ 2010/2011:

→ Kaiserdom, Skylark und “New Frankfurt Internationals”: Start in das Kunstjahr 2011
→ Anny und Sibel Öztürk: “ring ring ring”
→ Hoch hinaus in Frankfurt: Michele Di Menna tanzt im Messeturm
→ Claus Richter weist den Weg zur Kunst?
→ Das Museum für Moderne Kunst Frankfurt im Jahr 2010

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