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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Internationaler Hochhauspreis 2014

Naturnahes Wohnen – ein Projekt für die Zukunft

Von Renate Feyerbacher
Fotos: DekaBank und Renate Feyerbacher

Ende November 2014 war es wieder soweit und der Internationale Hochhauspreis (IHP) wurde in der Frankfurter Paulskirche verliehen. Er ging nach Mailand, der Partnerstadt von Frankfurt, ins Studio Boeri (Architekten Stefano Boeri, Gianandrea Barreca, Giovanni La Varra), für den Bosco Verticale (Der vertikale Wald).

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Bosco Verticale, Mailand, Architekten: Boeri Studio, Foto: DekaBank/Kirsten Bucher

2004 wurde der IHP kreiert , initiiert von der Stadt Frankfurt, vom Deutschen Architekturmuseum und der DekaBank. Alle zwei Jahre – nun zum 6. Mal – wurde er verliehen. Das Preisgeld beträgt 50.000 Euro. Überreicht wird ausserdem die Nachbildung einer Statuette, geschaffen vom international renommierten Künstler Thomas Demand, deren Original aus hauchdünnen Titanschichten im Besitz der DekaBank ist.

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Preisverleihung IHP 2014, v.l.n.r. Preisträger Gianandrea Barreca, Stefano Boeri (beide Partner Boeri Studio), Manfredi Catella (Hines Italia), Giovanni La Varra (Partner Boeri Studio); Foto: DekaBank/Alexander Paul Englert

Über 800 Hochhäuser sind in den letzen zwei Jahren weltweit fertiggestellt worden. Aus dieser Vielzahl wurden 26 herausragende Gebäude nominiert, die in 17 Ländern gebaut wurden. Viel Arbeit bei der Sichtung und viele Reisen für Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt. Fünf Finalisten wurden schliesslich von einer Expertenjury aus Architekten, Tragwerksplanern und Immobilienspezialisten (zu der unter anderem Professor Felix Semmelroth, Peter Cachola Schmal und Christoph Ingenhoven als Vorsitzender gehörten) ausgewählt. Die Entwürfe der Architekten müssen durch Nachhaltigkeit, Form, Raumqualitäten und soziale Aspekte überzeugen. Die Mindesthöhe der Gebäude muss 100 Meter betragen.

Unter den 26 Nominierten waren auch zwei Frankfurter Architektenbüros: Gruber + Kleine-Kranenburg (TaunusTurm in Frankfurt) und Christoph Mäckler (Zoofenster – Waldorf Astoria, Berlin).

Die Höhe der fünf Finalisten-Bauten liegt zwischen 105 und 151,3 Meter. Keine Gigantomanie also wie in Dubai, dessen erwähnenswerte Hochhäuser bei 250 Metern beginnen. Mit 828 Metern hat Dubai inzwischen das höchste Gebäude der Welt.

Zu den Finalisten gehörten „De Rotterdam“ in Rotterdam, von örtlichen Architekten entworfen, „One Central Park“ in Sydney und das „Renaissance Barcelona Fira Hotel“ – beide Entwürfe vom Atelier Jean Nouvel aus Paris, das 2004 schon einmal für den „Torre Agbar“ in Barcelona den IHP gewann – , weiter der „Sliced Porosity Block“ im chinesischen Chengdu vom Büro Steven Holl in New York und last not least der „Bosco Verticale“ (Der vertikale Wald) vom Boeri Studio in Mailand.

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Bosco Verticale (Der vertikale Wald), Mailand, Architekten: Boeri Studio, Foto: DekaBank/Kirsten Bucher

Der Bosco Verticale besteht aus zwei begrünten Wohnhochhäusern, die unterschiedlich hoch sind: der eine Bau 80 Meter mit 19 Stockwerken, der andere 112 Meter (27 Stockwerke). Es gibt 113 Wohnungen, von denen jede Zugang zu mindestens einer Terrasse hat. Dort erwartet die Bewohner ein kleiner Wald mit einem oder mehr Bäumen, durchmischt mit Sträuchern und Bodendeckern. 480 grosse und mittelgrosse und 300 kleine Bäume verschiedenster Art wachsen an den Fassaden. Ein ausgetüfteltes Bewässerungssystem versorgt sie. Die Bäume übernehmen eine natürliche Klimatisierung der Wohnungen, schützen vor Sonnenlicht und Lärm, lassen aber dennoch eine herrliche Aussicht zu.

Eine eindrucksvolle Symbiose von Architektur und Natur, ein Symbol für die Wiederbesiedlung der Stadt durch Pflanzen und Tiere.

Bosco Verticale ist ein Pionierprojekt. Fünf Jahre lang hat das Studio Boeri zusammen mit Botanikern und Landschaftplanern geforscht und gearbeitet. Professorin Laura Gatti von der Mailänder Universität hat eine besondere Pflanzenerde entwickelt. Wie hält ein hoher Baum in 100 Metern Höhe einen Sturm oder einen Orkan aus? Die Bäume mussten Tests im Windkanal überstehen. Unsichtbare Haltekonstruktionen in den Wurzelballen sichern sie. Bis zum letzten Stockwerk wurden sie nach oben gehievt. Landschaftsgärtner werden auch zukünftig die Pflege übernehmen. Zweifellos ist das Projekt ein Experiment und, wenn es gelingt, eine zukunftsweisende Idee für den weiteren Hochhausbau. „Eine radikale Idee, passend für die radikalen Städter von morgen!“ (Peter Cachola Schmal).

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Peter Cachola Schmal, Foto: Renate Feyerbacher

Begeistert erzählt Architekt Stefano Boeri, dass Vögel bereits in den Bäumen nisten, die im umtriebigen Mailand ansonsten wohl kaum zu sehen sind. Zwei Dächer wurden speziell im Sinne der Artenvielfalt begrünt. Sie ziehen Schmetterlinge, Solitärbienen, Hummeln und Marienkäfer an.

Solch ein Projekt hat seinen Preis: 9.000 Euro kostet der Quadratmeter. Architekt Boeri versichert, dass der Erwerb nachfolgend gebauter Wohnungen preiswerter sein werde, da die langwierige Forschungsarbeit entfällt. Die Kaltmiete für eine 77 Quadratmeter-Wohnung liegt derzeit bei 2000 Euro.

Die Meinung der Jury, die Bosco Verticale einstimmig zum Sieger kürte, zum diesjährigen Hochhauspreis: „Der Bosco Verticale zeugt von Mut zur Veränderung, da die Bäume und Sträucher auf versetzten Balkonen wachsen, die eine höchst lebendige Fassade bilden und die der Juror Neil Thomas mit Gartenzäunen in der Luft verglich, über die hinweg man plaudern kann“ (aus dem Katalog Best Highrises 2014/2015). Professor Semmelroth deutete an, dass dieser Prototyp die Debatten um den Wohnungsbau in Städten wie Frankfurt vorantreiben werde.

Die Millionenstadt Mailand ist eine der dicht besiedelsten Städte der Welt. Städtebaulich wird seit Jahren geplant und verändert, auch im Hinblick auf die Weltausstellung Expo 2015, die vom 1. Mai bis Ende Oktober des kommenden Jahres stattfindet und an deren Planung Stefano Boeri beteiligt ist. 147 Nationen werden an dieser Expo teilnehmen, die Ernährung zum Thema hat: „Feeding the Planet – Energy for Life“. 20 Millionen Besucher werden erwartet. Bosco Verticale liegt im Viertel Porta Nueva, einem heruntergekommenen, aber zentral gelegenen Bereich Mailands, dem grössten Veränderungsprojekt, an dem sich international renommierte Architekten beteiligen.

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Stefano Boeri, Foto: Renate Feyerbacher

Bis zum 1. Februar 2015 werden alle 26 nominierten Bauten in der Ausstellung „BEST HIGH-RISES 2014/15 – Internationaler Hochhaus Preis 2014“ im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main vorgestellt. Die Finalisten werden mit Modellen, Zeichnungen, Fotos und Filmen präsentiert.

→ Ausstellung “Himmelstürmend” im Deutschen Architekturmuseum (DAM)

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