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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Pianist Jean Muller im Hauskonzert von Viviane Goergen und in der Alten Oper Frankfurt

„Ich bin sozusagen als Kind in den Topf der Musik gefallen“

Von Renate Feyerbacher

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Zwei aktuelle CDs mit Jean Muller; Foto: Erhard Metz

Der 1979 geborene luxemburgische Pianist Jean Muller hält sich vier Tage in Frankfurt auf. Einen Abend spielte er im Steinway-Haus, am Freitagabend in einem Hauskonzert der Pianistin Viviane Goergen, die auf eine weltweite Karriere als Konzertpianistin zurückblicken kann. Am  bevorstehenden Sonntagabend dann der Höhepunkt: sein Soloabend mit Werken von Franz Liszt im Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt.

Dieser „Topf der Musik“ ist seine Familie. Die Mutter spielt Bratsche im Philharmonischen Orchester Luxemburg, sein Vater, Gary Muller, ist ein bekannter Klavierprofessor am dortigen Konservatorium. Schon immer wurde zuhause musiziert. Diese Atmosphäre hat ihn geprägt. Er habe immer Musik machen wollen, noch bevor er nachdenken konnte. Es zog ihn schon früh zum Klavier, mit sechs Jahren erhielt er den ersten Unterricht. Heute hat er, wie sein Vater, eine Professur am Konservatorium. „Wir sind Kollegen“, sagt er im Gespräch. In jedem Jahr geben die beiden zusammen mit einem anderen Vater-Sohn-Paar ein „Quartett-Konzert“ an zwei Klavieren, dazu kommt ein Schlagzeug und gespielt wird zum Beispiel die berühmte Sonate von Bela Bártok.

Jean hat einen jüngeren Bruder, der fiel zwar auch in den „Topf der Musik“, wurde dann aber Anwalt.

Jean Mullers Studium führte ihn an die Musikakademie nach Riga. Seine Lehrer waren ausser seinem Vater der russische Pianist Evgeni Moguilevski, der 1964 den berühmten Königin Elisabeth-Wettbewerb gewann, sowie Gerhard Oppitz und Michael Schäfer an der Musikhochschule in München. Unter anderem besuchte er bei Leon Fleischer einen Meisterkurs. In München musste er einmal für Daniel Barenboim einspringen. Keine leichte Aufgabe für ihn, unter der Leitung von Zubin Mehta das 5. Klavierkonzert von Ludwig van Beethhoven mit dem Bayerischen Staatsorchester darzubieten.

Er war in Paris und lernte dort die französische Schule kennen. Was bedeuten ihm die verschiedenen Schulen?

„Man soll mit einem Gedanken der Synthese daran gehen: In Deutschland wird sehr viel Wert auf die Struktur gelegt, die Architektur der Musik, in Frankreich eher auf das Dekorative, der Klang an sich wird gepflegt. Das hat mich sehr beschäftigt und inspiriert, einen Kompromiss zu suchen. Beides zu integrieren, das ist eine reizvolle Arbeit.“

Der Gewinn des Ersten Preises beim „Concours Poulenc“ 2004, da war Jean Muller 24 Jahre alt, bedeutete für ihn einen wichtigen Schritt in seiner Karriere. „Was ich toll finde, weil ich Poulenc sehr gerne habe, ein gossartiger Musiker, den man nicht unterschätzen sollte, sehr geistreich, mit viel Witz und Lebensfreude.“ Elf weitere Erste Preise bei internationalen Wettbewerben kamen hinzu.

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Jean Muller und Viviane Goergen; Foto: Manfred Baumann

Im Hauskonzert bei Viviane Goergen erklärt der grosse, schlanke Mann verständlich, mit feinem Humor jedes der Stücke, die er spielt. Sympathisch ist er. Es sind vor allem Teile aus den zwölf „Études d’exécution transcendante“ von Franz Liszt, Etüden, die eine „übernatürliche“ Ausführung verlangen. Mit dieser unglaublich virtuosen Komposition ist er derzeit auf Tournee: in Frankfurt, in Berlin, Warschau und Wien, im Juni in der Carnegie Hall New York und im Oktober in London.

Im letzten Jahr war er mit einem Chopin-Programm auf Tournee und ebenfalls in der Alten Oper Frankfurt. Was begeistert ihn an Franz Liszt, den ungarisch-österreichischen Komponisten?

Seine Antwort erstaunt. Zunächst schwärmt er von dem Menschen Liszt: „Er war eine faszinierende Persönlichkeit. Er hat unglaublich viel für andere Musiker gemacht, obwohl er oft hingestellt wird als grosser Egozentriker. Ich meine, es gibt kaum einen Musiker, der mehr für Kollegen, Studenten getan hat. Er hat quasi Wagner (Anmerkung der Autorin: dessen Schwiegervater Liszt wurde) zu dem gemacht, was er wurde … All das zusammen darf man nicht vergessen, trotz der Millionen Noten hat er doch einige bedeutende Meisterwerke geschrieben. Ein Komponist, der mich schon immer fasziniert.“ Begeistert spricht er von seiner Sonate in h-Moll, eines der wichtigsten Werke aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Bitte Musikvideo anklicken:
Jean Muller spielt
Franz Liszt:
Dante-Sonata („Après une lecture du Dante – Fantasia quasi sonata“, h-Moll)

Die Etüden hat Liszt im Alter von 15 Jahren begonnen, mit 27 Jahren bearbeitet und schliesslich mit 41 Jahren erneut korrigiert und für endgültig erklärt. Und das war gut so. Clara Wieck, die grosse Pianistin und Komponistin, war nicht begeistert von ihnen und nannte sie 1839 wild und zerrissen. Nun – die Fassung von 1852, die endgültige, die Jean Muller spielt, ist noch wild genug. Ein Liszt wie er „im Buche“ steht. Jean Muller kennt aber die beiden anderen Fassungen auch. Ihn interessiert die Entwicklung des Denkprozesses, den der Komponist bei diesem Werk hatte.

„Wilde Jagd“, „Chasse-neige – Schneetreiben“ sind zwei der Titel der Etüden. Eine stellt er mit dem Adjektiv „wütend“ vor, und er selber wird beim Spiel „wütend“. In der Tat ein Wahnsinn: die Virtuosität des Stückes. Seine Finger, die ich hinter ihm stehend beobachten kann, flitzen geradezu über die Klaviatur. Dann gibt es wieder feine, ruhige Stellen, die der Pianist auskostet.

Jemand hat gesagt, Jean Muller spiele mit Finger, Kopf und Herz. Virtuosität contra Emotionalität – ein Widerspruch?

„Man lebt das mit. Ich vergleiche Musikinterpretation oft mit Schauspielerei. Wenn man sich reinkniet und interpretieren möchte, dann muss man sich mit diesen Gefühlen auseinandersetzen. Nicht versuchen, das zu beschönigen. Virtusosität – Emotinalität: das ist mein Hauptanliegen … das interessiert mich so an Liszt. Er ist nicht blutleer. Diese Virtuosität ist Mittel zum Zweck, er stellt sie in den Dienst der Intensität. Das heisst, je schwieriger desto intensiver ist es auch. Um diese Intensität zu erreichen, muss man erstmal technisch über dem stehen, was verlangt wird.“ Und diese Technik beherrscht Jean Muller voll und ganz.

Selten werden diese zwölf Etuden im Konzertsaal gespielt: „Die Schwierigkeit liegt darin, sie vor Publikum von A bis Z zu spielen. Das ist schon eine grössere Herausforderung, das ist schon sportlich, kann man sagen.“

Zwischendurch bietet er im Hauskonzert bei Viviane Goergen Frédéric Chopin, der ebenfalls zu seinen Lieblingskomponisten gehört, zur „Beruhigung“ der stürmisch applaudierenden Zuhörerschaft zum Beispiel Nocturne op. 9 Nr. 2. Damit endet der Abend des Hauskonzertes auf dem Flügel der Pianistin Viviane Goergen.

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Jean Muller im Hauskonzert der Pianistin Viviane Goergen; Fotos: Renate Feyerbacher (oben) und Manfred Baumann (unten)

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Jean Muller liebt die Einfachheit in der Empfindung und die dennoch sehr anspruchsvolle Technik Chopins, die flüssigen Bewegungen. Die Bewegungen der Hände müssten rund sein, dürften nichts Eckiges haben, dann klinge es nicht mehr. „Es muss immer schwebend sein. Fingerballett.“

Und was bedeutet ihm Beethoven?

In den Jahren 2007 bis 2009 hat Jean Muller alle 32 Sonaten von Ludwig van Beethoven im Konzert interpretiert. Sein grösstes Projekt bisher, sagt er. Dieser Komponist hat ihn schon früh fasziniert. Er ist eine Konstante seiner Musik.

Was inspiriert Jean Muller?

Seine Antwort: „Das ist letzten Endes das Leben, das, was man erlebt. So unendlich Musik ist, wenn man sich nur vertieft und nur in die Geschichtsbücher vertieft, dann kommt man auch nicht auf den grünen Zweig. Man muss schon selbst leben, um auch was ausdrücken zu können.“

Und was heisst für ihn das Leben?

„Das heisst viel. Ich bin vor kurzem Vater geworden, das ist eine sicher sehr einschneidende Erfahrung.“ Als er das sagt, ist er sehr glücklich.

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Jean Muller und Professor Joachim Volkmann im Hauskonzert; Foto: Renate Feyerbacher

Unter den anwesenden Gästen beim Hauskonzert war Professor Joachim Volkmann, der noch immer aktive Lehrer für Klavier an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Auch er war begeistert von Jean Mullers Spiel.

Konzert von Jean Muller „Transcendence“ mit Werken von
Franz Liszt
Après une lecture du Dante – Fantasia quasi sonata
Études d’exécution transcendante 1 bis 12
Mephisto-Walzer Nr. 1 (Bearbeitung Busoni/Horowitz)

Sonntag, 13. April 2014, 20 Uhr in der
Alten Oper Frankfurt

→ Pianistin Patricia Hase zu Gast im Hauskonzert von Viviane Goergen
→ Pianist Xi Zhai im Hauskonzert von Viviane Goergen

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