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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Hans Thoma. ‚Lieblingsmaler des deutschen Volkes‘ “ und „Piero Manzoni. Als Körper Kunst wurden“ im Städel

Thomas „heile Welt“ trifft auf Manzonis „Dosen des Anstosses“

Von Hans-Bernd Heier

Das Städel Museum überrascht Besucher mit einem Kontrastprogramm, wie es krasser kaum sein könnte: Zeitgleich präsentiert Frankfurts berühmteste Galerie im Obergeschoss des Ausstellungshauses „Hans Thoma. ‚Lieblingsmaler des deutschen Volkes‘ “ und im Erdgeschoss die grosse Retrospektive „Piero Manzoni. Als Körper Kunst wurden“.

Hans Thoma, Auf der Waldwiese, 1876, Öl auf Leinwand, 47,2 x 37,5 cm; Foto: Städel Museum ARTOTHEK

Der früh, im Alter von 29 Jahren, verstorbene Piero Manzoni (1933 bis 1963) gilt trotz seines kurzen Lebens als folgenreichster Künstler der italienischen Nachkriegskunst. Sein Werk wird auch exakt 50 Jahre nach seinem Herztod noch als epochal und avantgardistisch eingestuft. Am 13. Juli 2013 wäre der grosse Provokateur 80 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass ehrt das Städel diesen zentralen Künstler der europäischen Nachkriegsavantgarde mit einer umfassenden Überblicksschau, in der über 100 Arbeiten aus allen Schaffensperioden zu sehen sind.

Die Retrospektive zeigt die facettenreichen künstlerischen Positionen dieses „atemberaubenden Erneuerers des Kunstbegriffs“, so Direktor Max Hollein. Die über 100 Werke aus allen Schaffensperioden des Frühvollendeten ermöglichen einen komplexen Einblick in ein bis heute virulentes Werk zwischen Informel und dem Aufkommen eines neuen Kunstbegriffs, zwischen klassischer Moderne und Neoavantgarde, zwischen Kunst und Alltag. „In der Ausstellung wollen wir nicht nur die Vielschichtigkeit seines in wenigen Jahren entstandenen Werks, sondern auch Piero Manzonis enormen Einfluss auf den Paradigmenwechsel der Kunst der 1960er-Jahre aufzeigen. Manzoni ist nicht weniger als einer der Wegbereiter unserer Gegenwartskunst, der sowohl Body Art, Performance, Konzeptkunst und Land Art beeinflusst hat“, erläutert Martin Engler, Leiter der Sammlung Gegenwartskunst im Städel und Kurator der Schau.

Die Provokation seiner vielleicht bekanntesten Werkgruppe „Merda d’artista“ (Künstlerscheisse, 1961) ist noch heute, fünf Jahrzehnte nach Manzonis Tod, ungebrochen: 30 Gramm Kot des Künstlers in streng limitierten handlichen Dosen, die angeblich im Kunsthandel zum Goldpreis verkauft wurden. Die Fäkal-Dosen lösten Anfang der sechziger Jahre in der Kunstwelt einen riesigen Skandal aus und noch heute sorgen die Dosen des Anstosses für hitzigen Diskussionsstoff. Mit seinem schillernden, körperlich sinnlichen Werk ist der visionäre Provokateur Piero Manzoni bis heute unvergessen.

Ganz anders erging es dem Maler Hans Thoma, obwohl er im ausgehenden 19. Jahrhundert einer der populärsten Künstler in Deutschland war und deutschlandweit hohe Verehrung genoss. „Kein anderer deutscher Künstler erlangte zu Lebzeiten je wieder eine solche Popularität“, erklärt Felix Krämer, Leiter Kunst der Moderne und einer der Kuratoren. Meyers Grosses Konversationslexikon von 1909 bezeichnet ihn gar als „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“. Dennoch ist das Werk des 1839 in Bernau, Schwarzwald, geborenen Malers und Grafikers nahezu in Vergessenheit geraten.

Hans Thoma, „Selbstbildnis vor Birkenwald“, 1899, Öl auf Leinwand, 94 x 75,5 cm; Foto: Edelmann – Städel Museum ARTOTHEK

Die Präsentation im Städel spürt der Frage nach, warum der einst von Publikum und Kunstkritik als „grösster deutscher Meister“ bezeichnete Künstler um die Jahrhundertwende enorme Popularität erlangte, und sucht nach Erklärungen dafür, dass Thoma nach 1945 zunehmend anders bewertet wurde. Anhand von über 100 Werken, darunter fast 50 Gemälde – alle aus eigenen Beständen des Museums – zeigt die erste museale Überblicksausstellung zu Thomas Werk in Deutschland seit über 20 Jahren, dass der Künstler weit mehr war als nur der Maler pittoresker Schwarzwald-Landschaften, mit denen er heute vielfach verbunden wird. Seine Malerei verbindet realistische und symbolistische Tendenzen und nimmt wichtige Elemente des Jugendstils sowie der Neuen Sachlichkeit vorweg. Diese künstlerische Vielfalt und Thomas Rolle als Schlüsselfigur einer „deutschen Kunst“ um 1900 – eine Deutung, die sich auch bei seiner posthumen massiven Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus fortsetzte – erfordern nach Auffassung von Direktor Max Hollein und Kurator Felix Krämer eine Neubewertung. Das Städel Museum besitzt neben der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit über 80 Gemälden und mehreren Hundert Arbeiten auf Papier die umfangreichste Thoma-Sammlung weltweit. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden die Werke Thomas aus der städeleigenen Kollektion nur vereinzelt gezeigt.

Die kritische Annäherung an Thomas Kunst und deren Rezeptionsgeschichte, die ein ebenso spannendes wie bedeutsames Kapitel der deutschen Kulturgeschichte darstellen, ist ein zentrales Anliegen der Städel-Schau. Im Zentrum des Interesses steht die Aufarbeitung der eigenen Thoma-Sammlung. Bewusst verzichtet die Ausstellung deshalb auf Leihgaben. „Die Präsentation will das komplexe Werk des Künstlers differenziert beleuchten und zeigt ein wohl für viele Betrachter unerwartet vielschichtiges Œuvre“, betont Kurator Krämer.

Ritt auf dem Vogel, 1885, Öl auf Leinwand, 36,5 x 28,2 cm; Foto: Städel Museum ARTOTHEK

„Hans Thoma ist eine zentrale Gestalt der deutschen Kunstgeschichte und sein Werk ein wesentlicher Bestandteil der Sammlungsgeschichte unseres Museums“, erläutert Max Hollein. So erfuhr der Künstler insbesondere von Henry Thode, der das Institut von 1889 bis 1891 leitete, enorme Unterstützung und Förderung. Auch die Ankaufpolitik des Städel Museums während der 1930er-Jahre wird näher beleuchtet, zumal ein Grossteil des Thoma-Bestandes 1939 ins Haus kam. Für die Wiederentdeckung des nahezu vergessenen Werkes von Thoma ist das Städel geradezu der ideale Ort.

Bildnis Henry Thode, 1890, Öl/Pappe, 74,5 x 61,2 cm; Foto: U. Edelmann – Städel Museum ARTOTHEK

Bevor der Maler 1877 nach Frankfurt kam, wurde er als „Meister Klex“ verhöhnt. Und wegen „der differenzierten Grün-Skala der Naturdarstellungen verspottete man die Werke als ‚Thoma-Sala‘ „, sagt Krämer. Auch in der Mainmetropole begegnete man seinem Werk zunächst mit Zurückhaltung. Dies sollte sich aber nach und nach ändern.

In der Hängematte, 1876, Öl/Leinwand/Holz, 109 x 147,5 cm; Foto: Städel Museum ARTOTHEK

Denn künstlerisch wie auch finanziell ging es für Thoma in den Frankfurter Jahren bergauf. Hier entstanden zwischen 1877 und 1899 zahlreiche bedeutende Werke. Ein treuer grossbürgerlicher Förderkreis unterstützte Thoma, beauftragte ihn mit Porträts und Wandbildern und verhalf ihm zu ersten Erfolgen. Die Verherrlichung des einfachen Lebens auf dem Lande, Heimat und Naturverbundenheit waren zu dieser Zeit Thomas bevorzugte Themen und trafen den Nerv der Zeit. Bei dem „Kündiger einer besseren Welt“, wie ihn euphorisch Thode bezeichnete, kamen weder moderne Architektur noch Industrialisierung vor. In seinen „gemalten Utopien“, blendete er die Jetztzeit völlig aus. In Thomas Bildern ist die Zeit stehen geblieben. Viele Darstellungen thematisieren das Ideal des Einklangs von Mensch und Natur sowie die Rückbesinnung auf das Einfache und Ursprüngliche.

Die Öd. Blick auf den Holzhausenpark, 1883, Öl auf Leinwand, 85,5 x 117 cm; Foto: Städel Museum ARTOTHEK

Auch finanziell ging es dem Künstler immerhin so gut, dass er sich ein Haus kaufen konnte. Thoma bezeichnete in einem Schreiben Frankfurt gar als „Schlaraffenland“, in dem ihm die gebratenen Hühner nur so in den Mund flögen.

Sein Verhältnis zur Stadt war allerdings ambivalent. Er kritisierte zwar die Mainmetropole als Ort der „Huldigung des Geldes“, profitierte aber gleichzeitig stark von der Finanzkraft zahlreicher kunstbegeisterter Bürger. Auch bezeichnete er in einem Brief an den befreundeten Thode Frankfurt als öde und fährt wörtlich fort: „Der Maßstab, den es an alles legt, heisst Geld … Werte, die man nicht in Geld umsetzen kann, kennt diese Öde nicht“.

Drei Meerweiber, 1879, Öl auf Leinwand, 106 x 77,6 cm; Foto: Städel Museum ARTOTHEK

Thoma machte in Frankfurt unter anderem Bekanntschaft mit Cosima Wagner, der Ehefrau des Komponisten Richard Wagners, und fuhr mehrmals zu den Bayreuther Festspielen. Er gestaltete Wanddekorationen zu Wagners Opern und schuf einen Gemäldezyklus zum „Ring des Nibelungen“, für dessen Neuinszenierung 1896 er von Cosima Wagner mit Kostümentwürfen beauftragt wurde. Wagner hatte seitdem einen festen Platz im Œuvre Thomas.

Zug der Götter nach Walhall, 1880, Öl auf Leinwand, 74,3 x 62 cm; Foto: U. Edelmann – Städel Museum ARTOTHEK

Seinen künstlerischen Durchbruch erreichte Thoma 1890 mit einer Schau im Kunstverein München, die ein grosser Verkaufserfolg wurde. Gerade seine ältere Arbeiten, vor allem die Landschaftsdarstellungen, die in ihrer Entstehungszeit noch als provokanter Gegenentwurf zur akademischen Malerei angesehen wurden, begeisterten das Publikum. Seine Sehnsuchtsbilder suggerierten eine heile Welt, während sich im wirklichen Leben die Schattenseiten der Industrialisierung zeigten. Thoma jubilierte: „Meine Ausstellung in München ist ein vollständiger Sieg und übertrifft meine Erwartungen bei weitem!“

Besucherin neben dem Ölgemälde „Der Rhein bei Säckingen“ von 1890, das 1939 mit der Hans Thoma-Sammlung Eiser-Küchler 1939 erworben wurde; Foto: Hans-Bernd Heier

Thomas letzte Lebensstation war Karlsruhe: 1899 wurde er zum Direktor der Grossherzoglichen Gemäldegalerie (heute Staatliche Kunsthalle) und zum Professor der Grossherzoglich-Badischen Akademie der Bildenden Künste berufen, der er zwanzig Jahre lang vorstand.

Als Thoma dieser Berufung folgend Frankfurt verliess, war er ein nationaler Maler-Star, dessen Werke praktisch überall präsent waren. So schuf Thoma unter anderem Reproduktionsgrafiken in hoher Auflage, Postkartenbücher, Kalender und Kriegspostkarten, die wesentlich zur Steigerung seiner Bekanntheit beitrugen. Dabei war er nicht nur technisch auf der Höhe der Zeit, sondern auch was die Vermarktung anging. „Die massenhafte Verbreitung von Thoma-Motiven – selbst gegen den Abdruck auf Zigarrenschachteln hat er nichts einzuwenden – trägt zur Popularisierung seines volkstümlichen Images bei, während die Preise seiner Kunst gleichzeitig in die Höhe klettern“, schreibt Krämer in dem ausgezeichneten Katalog.

In Karlsruhe geniesst Hans Thoma seinen späten Ruhm. Vielfach prämiert und ausgezeichnet stirbt dort der Künstler 1924 hochbetagt mit 85 Jahren.

Hans Thoma und Wilhelm Süs (?), Wanduhr, Majolika, undatiert; Foto: Hans-Bernd Heier

Für Ausstellungsbesucher bietet die von Felix Krämer und Nerina Santorius, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Kunst der Moderne des Städel, hervorragend kuratierte Schau einige Überraschungen – das betrifft sowohl Thomas vielfältiges Werk als auch die ungewöhnliche Inszenierung: Die Ausstellungsräume sind mit grünem Kunstrasen belegt und vermitteln eine anheimelnde Atmosphäre. Die Arbeiten sind auf farbigen Wänden gehängt. Beim Entree sieht er sich mit Thomas Selbstbildnis (s. Bild oben) und einer direkt daneben platzierten Wanduhr konfrontiert.

Bildnis Prinz Friedrich Karl von Hessen, 1892, Öl auf Holz, 64 x 52,5 cm; dieses Gemälde wurde erst jüngst von der Adolf und Luisa Häuser-Stiftung für Kunst- und Kulturpflege für das Städel erworben; Foto: Hans-Bernd Heier

Die sehenswerte Ausstellung zeigt die ganze Bandbreite des künstlerischem Schaffens von Hans Thoma – angefangen von realistischen Werken aus frühen Schaffensjahren bis zu fantasiehaften Motiven über Landschaftsbilder, die vor allem im Schwarzwald und im Taunus entstandenen sind, Porträts sowie Genredarstellungen, auf denen idyllische Szenen des bäuerlichen Alltags zu sehen sind. Auch seine von Wagner-Opern inspirierten Arbeiten sowie mythologische und religiöse Szenen sind in der aussergewöhnlichen Überblicksschau nicht ausgespart. Sie leistet einen überzeugenden Beitrag zur Neubewertung von Thomas Œuvre. Während seine Werke in Deutschland bisher (noch?) auf wenig Aufmerksamkeit stossen, interessieren sich laut Krämer neuerdings US-amerikanische Institute für sein Werk und haben jüngst Gemälde erworben, die sie prominent in ihren Häusern präsentieren.

„Hans Thoma. ‚Lieblingsmaler des deutschen Volkes'“, bis 29. September 2013, und „Piero Manzoni. Als Körper Kunst wurden“, bis 22. September 2013 im Städel Museum

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Städel Museum

 

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