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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 3

Ein Reisebericht

3. Teil: Cádiz

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Durch wunderschöne Landschaft, vorbei an „Weissen Dörfern“ führt uns die Busfahrt von Ronda nach Cádiz. Nur von Weitem sehen wir Arcos de la Frontera auf einem steilen Felsen thronen. Wir hätten die Reise unterbrechen müssen, aber zu spät erfuhr ich von der Schönheit dieses „Weissen Dorfes“ mit malerischen Gassen und Häusern mit Stützbögen. Seine maurische Festung galt als uneinnehmbar, fiel aber dann doch bereits 1264 in christliche Hände.

Auf dem Weg nach Cádiz begleiten uns riesige Sonnenblumenfelder. Kurz vor Jerez de la Frontera, Spaniens Stadt des Sherrys, wo der Bus Station macht, beherrschen grosse Pferde- und Stierzuchtfarmen die Region.

Diese etwa 210.000 Einwohner zählende Stadt wird die „kleine Schwester von Sevilla“ genannt. Hier gibt es eine Königlich-Andalusische Schule der Reitkunst, Pferdeballett, das Andalusische Zentrum des Flamenco sowie zahlreiche Museen wie ein Pferdemuseum, ein Archäologisches Museum, ein Uhrenmuseum und ein Weinmuseum. Allen Bahn- und Busreisenden bietet der Jugendstilbahnhof ein zauberhaftes Entrée. 700 Bodegas soll es in der Stadt geben.

Nicht allzu weit nordwestlich von Jerez de la Frontera liegt der National- und Naturpark Doñana, der 1994 zum UNESCO Naturerbe ernannt wurde. Er ist Refugium unter anderem für Raubvögel, Kraniche, Flamingos. Vor allem kümmert man sich hier um bedrohte Luchse.

Doñana ist das grösste Feuchtgebiet Spaniens. Der Fluss Gualdaquivir, der in der Nähe von Jaén, im östlichen Andalusien entspringt, die Städte Córdoba und Sevilla berührt, nördlich von Cádiz ins Meer mündet, ist Teil dieses Parks.

Die Fahrt von Jerez de la Frontera nach Cádiz führt durch eine Marschen-und Wasserlandschaft. Ein Wall und Brücken verbinden die Stadt, die etwa 127.000 Einwohner hat, mit dem Festland. Das Wasser des Atlantiks umspült quasi die Altstadt von Cádiz. Das neue Cádiz ist von architektonisch lieblos gestalteten Wohnhäusern geprägt.

Wir verlassen den Bus am Bahnhof und begeben uns ins Hotel, das in der engen, belebten Einkaufsstrasse San Francisco liegt. Nur wenige Schritte haben wir zur Plaza de Mina. Hier, dem Ort des Museo de Cádiz, pulsiert das Leben. Es wimmelt von spielenden Kindern und älteren Gaditanos. So werden die Bewohner der Stadt genannt. Gades nannten die Römer sie, von wo aus Silber, Kupfer, Wein und Wolle nach Rom verschifft wurde. Eingerahmt ist der Platz von schönen, aber renovierungsbedürftigen Kolonialhäusern.

Majolika im Hotel

Abendstimmung auf der Plaza de Mina

Hier liegt auch das Geburtshaus des spanischen Komponisten Manuel de Falla (1876 bis1946), der 1939 nach Argentinien emigrierte, weil die Stadt schnell in die Hände der Falangisten fiel. Nach seinem Tod in Argentinien fand er in der Kathedrale seiner Geburtsstadt die letzte Ruhe. Zu seinen Ehren ist heute das Opernhaus benannt.

Hier wollen wir nach einer Bar, marisquerías und cervecerías, beliebt wegen ihrer Tapas suchen. Wir werden fündig und lassen uns beraten. Wir kosten boquerones en vinagre, chocos fritos, salpicon de marisco, boscals de la ista und und und.

In der Abenddämmerung gehen wir zum Plaza de España mit seinem imposanten, halbrund gestalteten Cortes-Denkmal, ein wichtiges Wahrzeichen der Stadt, das 1911 erbaut wurde.

Cortes-Denkmal

Es erinnert an die erste bürgerlich-liberale Verfassung Spaniens, im Volksmund auch „La Pepa“ genannt. Sie wurde in dem Einkammerparlament, in dem auch Abgeordnete, sogenannte Cortes, der überseeischen Gebiete vertreten waren, 1812 in Cádiz beschlossen.

Schulkinder mit einem als Cortes verkleideten Führer

Cádiz ist sehr alt. Es heisst, sie sei die älteste Stadt Westeuropas. Gegründet wurde sie 1100 v. Chr. von den Phöniziern, dann kamen Karthager. Der neunjährige Hannibal soll seinen Vater 237 v. Chr. auf die iberische Halbinsel begleitet haben. Danach kamen die Römer, dann die Goten und um 710 drangen die maurischen Berber über Gibraltar nach Hispanien, das in Windeseile erobert wurde. Die muslimische Herrschaft in Cádiz dauerte bis 1262.

Das Meer und die Seefahrt erhielten nach der muslimischen Herrschaft wieder ihre volle Wertschätzung.

Von Cádiz aus startete der Genueser Christoph Kolumbus am 25. September 1493 mit 17 Schiffen und 1500 Mann zu seiner zweiten Reise in Richtung Südamerika – Kuba – , um die entdeckten Gebiete, von denen er meinte, es sei Asien, zu besiedeln und Güter und Sklaven mitzubringen. Er entdeckte Neuland, fand aber das bereits eroberte Land zum Teil verwüstet und die indianische Bevölkerung, die die Spanier wohlwollend aufgenommen hatten, wegen schlechter Behandlung feindlich gesinnt. Kolumbus versklavte um die 1600 von ihnen und liess über 500 nach Spanien deportieren. Das verstiess gegen die Anordnung von König Ferdinand II. und Königin Isabella I., die aufgetragen hatten, die Ureinwohner gut zu behandeln, weil sie in ihnen potentielle Christen sahen.

Denkmal der Königin auf der Plaza Isabel la Católica in Granada

Auch in der katholischen Kirche gab es Protest gegen die Behandlung der Urbevölkerung, vor allem von dem in Sevilla geborenen Dominikanerpater Bartolomé de Las Casas (1484/85 bis 1566). Er verurteilte die brutale Behandlung und die Versklavung der Indianer. Er verteidigte ihre Rechte und stellte generell die Conquista, die Eroberungen der Spanier, in Frage. Er fuhr mehrfach zwischen Spanien und den Kolonien hin und her und erreichte bei König Karl I., dem späteren Kaiser Karl V. (1500 bis 1558), neue Gesetze zugunsten der Urbevölkerung.

Im 16. Jahrhundert gab es in Cádiz einen immensen wirtschaftlichen Aufschwung, der fast drei Jahrhunderte anhielt – auch aufgrund des Handels mit den südamerikanischen Kolonien. Es war eine reiche Seefahrerstadt.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Cádiz mehrfach von britischen und französischen Kriegsschiffen bedroht. Am 21.Oktober 1805 fand in den Gewässern, 40 Kilometer südlich von Cádiz, die Schlacht von Trafalgar statt. Die Royal Navy der Briten unter Admiral Horatio Nelson besiegte die verbündete französisch-spanische Kriegsmarine, die Armada. Die Schlacht von Trafalgar brachte das Ende der spanischen Seemacht und verwirkte den Einfluss auf Südamerika. Cádiz verlor an Bedeutung.

Napoleon war derweil in der Schlacht von Austerlitz beschäftigt, musste aber im Endeffekt seinen Plan, England zu erobern, aufgeben. Dafür begann er 1812 den verheerenden Russlandfeldzug. Die französisch-spanische Allianz zerfiel in den Folgejahren.

Napoleon hatte seinen Bruder Joseph zum König von Spanien eingesetzt. Allerdings hatte er nicht die Macht und keine Verwaltungskompetenz über Gesamtspanien, auch nicht über Cádiz. In den nicht französisch besetzten Gebieten bildeten sich Juntas Provinciales, die sich 1808 zur Junta Suprema Central y Gubernativa del Reino zusammenschlossen. Ihre öffentlichen Erklärungen äusserten sie im Namen „ihres“ spanischen Königs Ferdinand VII. Die Junta Suprema Central löste sich später auf und übertrug 1810 die legislativen Kompetenzen den Cortes, die nach Cádiz flohen, wo sie zwei Jahre später die „La Pepa“ verabschiedeten.

Ausstellung im Informationszentrum beim Oratorio San Felipe Neri

Sie hatten sich im Oratorio de San Felipe Neri, einer über ovalem Grundriss erbauten Kirche versammelt. Man fühlt sich an den ovalen Grundriss der Paulskirche erinnert. Cádiz hat sich nie französischer Herrschaft gebeugt. Die Provinz Cádiz ist bis heute der Brückenkopf nach Nordafrika. Die Stadt war über Jahrhunderte das Tor nach Südamerika und hat lange die Geschichte der Pyrenäenhalbinsel beeinflusst.

Markenzeichen der Seefahrerstadt sind zahlreiche Wachttürme. 170 Stufen führen auf den bekanntesten, den Torre Tavira. Er ist Teil eines Adelspalastes aus dem 18. Jahrhundert. Von dort hat der Besucher einen prachtvollen Blick auf die Stadt, auf den Hafen und auf das Festland. Im Turm befindet sich eine cámera obscura, die Live-Bilder aus den Strassen und Plätzen zeigt. Eine schöne Attraktion. Über hundert Bürgerhäuser von Kaufleuten und Transportunternehmern hatten früher einen solchen Wachtturm. Von dort beobachteten sie das Verladen und Auslaufen der Schiffe. 

Blick vom Torre Tavira über die Altstadt

Nur wenige Gassen entfernt liegt die Markthalle mit ihrem eindrucksvollen, tagesfrischen Angebot.

An der Plaza de las Flores mit kleinen Geschäften, mit Bänken zum Ausruhen, besuchen wir die imposante Post, um ein paar Briefmarken zu kaufen. Obwohl alle Schalter frei sind in der hohen, prachtvollen Halle, haben wir auf einen Aufruf zu warten. Undenkbar hierzulande.

In den schmalen Strassen und Gassen finden sich architektonische und künstlerische Kostbarkeiten wie hier an dem Gebäude der Offiziellen Kammer für Handels-, Industrie- und Seefahrt der Stadt. Diese erinnern alltäglich an die grosse Zeit und den Reichtum der Seefahrerstadt.

Haus der Handelskammer

Drei aussergewöhnliche Institutionen, das Oratorio de la Santa Cueva, das Hospital de Mujeres und das Museo de Cádiz an der Plaza de Mina, sind für Kunstinteressierte ein Muss beim Besuch dieser Stadt. Hinter der „weltlichen“ Fassade der Santa Cueva (Heilige Höhle) verbirgt sich ein Juwel – architektonisch, malerisch, bildhauerisch und musikalisch. Das Gotteshaus der Santa Cueva hat eine untere und eine obere Kapelle: Im unterirdischen Raum ist der Ort der Stille mit wenig Licht, den die Laienbruderschaft Madre Antigua im 18. Jahrhundert für sich entdeckte.

↑ Untere Kapelle, ↓ Obere Kapelle

Für den Ausbau der Unteren wie der Oberen Kapelle, die 1796 eingeweiht wurde, sorgte der in Mexiko geborene Pater Santamaría, Sohn einer Adelsfamilie, der das Familienvermögen erbte. Santa Cueva ist ein Gesamtkunstwerk, hier kommen die Goya-Bewunderer auf ihre Kosten.

Francisco de Goya (1746 bis 1828), den berühmten Hofmaler, hatte es krankheitsbedingt 1792 nach Cádiz verschlagen, weil es vor Ort Spezialisten geben sollte. Geheilt wurde er jedoch nicht. Gehörlosigkeit blieb sogar zurück.

1796/97 schuf er in der oberen Kapelle hoch oben in den Bogenfeldern drei Gemälde: der Hochzeitsgast, das Abendmahl und die Vermehrung der Brote und Fische. Beim Abendmahl sitzen die Jünger nicht um den Tisch, sondern sie liegen. Bei der Brot- und Fischvermehrung steht Christus überragend und hell mit einigen Personen im Vordergrund.

↑ Abendmahl, ↓ Brotvermehrung

Die feinen Pastellfarben erstaunen bei einem Künstler, dessen realistische Darstellungen oft schocken, wie etwa in dem Bild „Die Erschiessung der Aufständischen“. Faszinierend ist Goyas künstlerische Vielfalt, die von religiösen bis hin zu weltlichen Darstellungen reicht, etwa in seinen berühmten Gemälden der „bekleideten“ und der „nackten Maja“ oder in seinem Radierzyklus über die „Kunst des Stierkampfes“.

Bewundernswert sind auch die Reliefaltäre von Cosme Velasquez Merino (1755 bis 1837).

Reliefaltar

Auch der Musik wird gehuldigt. Der österreichische Komponist Joseph Haydn wurde von Pater Santamaria gebeten, für den Karfreitag „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ zu komponieren. Das Werk wurde in Cádiz uraufgeführt.

Weniger besucht, aber nicht minder prachtvoll ist die Kapelle des Hospital de Mujeres, dessen Grundstein 1736 gelegt wurde. In der Kirche des ehemaligen barocken Frauenhospitals unserer Lieben Frau Carmen, heute Bischofssitz, kann man einen El Greco bwundern: „Die Ekstase des San Francisco“.

El Greco, „Die Ekstase des San Francisco“

Es ist eindrucksvoll, wie El Greco (1541 bis 1614), als Domínikos Theotokópoulos auf Kreta geboren und in Toledo gestorben, die Grautöne vielfältig variiert, so dass sie ohne andere Farben ein sehr ansprechendes, lebendiges, berührendes Bild ergeben. Der Lichteinfall, bewirkt durch die sich öffnende Wolkendecke, ist eine ikonographisch gelungener Idee.

Die Kapelle beherbergt weiterhin Schätze spanischer Barockkunst und wurde erst kürzlich aufwändig restauriert.

↑ Decke in der Kirche Hospitalo de Mujeres
↓ Ausschnitt aus dem Altar Geburt Christi

Sehr schön ist die Anlage, die sich um zwei Innenhöfe gruppiert. Die Stationen des Kreuzweges sind aus glasierten Terracotta-Kacheln gefertigt. Ein wunderschöner Ort in der Nähe des Plaza de las Flores, der keine grosse Beachtung findet.

Die dritte, bereits erwähnte, sehenswerte Institution ist das Museo Cádiz an der belebten Plaza de Mina.

Gleich im Untergeschoss befindet sich der archäologische Teil. Sofort fällt das Auge auf die beiden phönizischen Sarkophage aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. Sie sind aus Marmor und der menschlichen Gestalt nachempfunden. Der männliche wurde bereits 1887 entdeckt, der weibliche erst 1980. Er ist von besonderer Schönheit und Feinheit.

↑ Phönizische Sarkophage
↓ Terracotas Gaditanas

Das Museum kann sich rühmen, eine der bedeutendsten phönizischen Sammlungen des Mittelmeerraums zu haben. Grabbeigaben, Bronzestücke und aussergewöhnliche Votivfiguren aus Terrakotta, „Terracotas Gaditanas“, sind zu sehen. Aber auch Exponate erinnern an die römische Zeit und ans Mittelalter. In zwei Obergeschossen hängen ein schöner Rubens, ein Altaraufsatz von Murillo, es soll sein letztes Gemälde gewesen sein, sein Franziskus-Kopf, ein witziger Míró, vor allem aber ein Zyklus von Engel- und Heiligen-Gemälden des spanischen Hofmalers Francisco de Zurbarán (1598 bis 1664).

Cádiz, Partnerstadt von Havanna, hat kubanisches Flair. Prachtvoll schlängelt sich die Meerpromenade vorbei an der Kathedrale, an der Casa del Obispo, dem ehemaligen Bischofssitz, mit seinen archäologischen Funden, vorbei an der Pfarrkirche Santa Cruz zum Römischen Theater.

Natürlich gibt es auch hier ein Flamenco-Zentrum. Kilometerlange Strände locken zum Baden. Bootstouren mit Katamaranen werden angeboten und es gibt einen Fahrradverleih. Kultur und Erholung verzahnen sich.

Diese beeindruckende Stadt, die heute jedoch von grosser Arbeitslosigkeit betroffen ist, sollte bei einer Andalusien-Rundreise nicht übergangen werden. Etwa 35 Kilometer entfernt, bei Jerez, liegt der Flughafen. Und die Bus- und Bahnverbindungen sind gut und preiswert. Ein verstärkter Tourismus würde die Situation der Menschen sicher etwas verbessern. Touristenmassen schieben sich nicht wie in Sevilla, Córdoba oder Granada durch die Gassen – zu Unrecht.

→ Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 1 (Málaga)

→ Andalusien – christlich-islamischer Kulturschatz / 4 (Sevilla Teil 1)

→  Elke Backert: Cádiz, das “Silbertässchen”

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