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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kultur für alle! – „Kultur für ALLE e.V.“

„Der Idealist glaubt nicht ans Ende“ – Götz Wörner und der Kulturpass

Von Renate Feyerbacher

„Kultur für alle“ – dieses Credo machte in den 1980er Jahren Furore. Es wurde geprägt von Hilmar Hoffmann (*1925) und war der Titel seines Buches, das 1979 erschienen war. Es blieb nicht bei der Parole, es folgten Taten. Wie kein anderer hat der langjährige Frankfurter Kulturdezernent und spätere Präsident des Goethe-Instituts die Stadt kulturell geprägt. Er initiierte das Museumsufer und das erste Kommunale Kino. Der Aufbau des Deutschen Filmmuseums / Deutschen Filminstituts in Frankfurt lag dem Filmenthusiasten, der 1954 die Westdeutschen Kulturfilmtage gründete, die später Oberhausener Kurzfilmtage hiessen, besonders am Herzen. Er unterstützte Stadtteilbibliotheken und die Arbeit freier Künstlergruppen und und und.

Hilmar Hoffmann am 19. November 2012 im Deutschen Filmmuseum

Was Hilmar Hoffmann mit Kultur für alle im Sinn hatte, verdeutlichte er vor einem Jahr in einem Interview: Damit meinte er zum einen die inhaltliche Öffnung der Kulturinstitute, die überhaupt erst das Interesse wecken würde. Dadurch würde gelernt, „sein Leben geistig und intellektuell zu bereichern“. Der zweite Punkt war, Möglichkeiten der Teilhabe zu schaffen. „Deswegen konnten wir zu meiner Zeit mit freiem Eintritt in den Museen grossen Besucherandrang erzeugen“ (Frankfurter Neue Presse vom 31. März 2012).

Diese Zeiten sind vorbei. „Freier Eintritt“ ist selten bei einer Veranstaltung. Und die Eintrittspreise für Museen, Theater, Oper, Kino und Konzerte sind beachtlich gestiegen.

Mittlerweile leben über 90.000 Menschen, davon etwa 27.000 Kinder, in Frankfurt an der Armutsgrenze und von staatlicher Unterstützung. Und diese Menschen dürsten auch nach Kultur.

„Kultur für ALLE“ nennt sich mit Genehmigung des Buch-Autors Hilmar Hoffmann ein Verein, der seit Oktober 2008 in Frankfurt aktiv ist.

Marc Chagalls berühmtes Gemälde „Commedia dell’Arte“ ziert den scheckkartenähnlichen Kulturpass, den diese Institution vergibt. Kein „Armutspappendeckel“ sollte es sein. Ihn können diejenigen erwerben, die sich Kultur sonst nicht leisten können.

Dazu gehören unter anderem Frankfurt-Pass-Besitzer und alle Menschen, die vom Staat finanzielle Hilfe, Grundsicherung, Hartz IV, Sozialhilfe, erhalten: Arbeitslose, Rentner, Studenten, Auszubildende, Kinder, Asylanten, Wohnsitzlose. Es sind alle diejenigen, die ums tägliche Überleben kämpfen müssen und denen kein Geld für einen Kino-, Konzert- oder Museumbesuch übrig bleibt.

Mit dem Kulturpass des Vereins „Kultur für ALLE“, den etwa 200 kleine und grosse Kulturpartner akzeptieren, wird es möglich, an der einen oder anderen kulturellen Veranstaltung teilzunehmen, gemäss dem Motto des Vereins: „Kultur ist alles, was der Mensch gestaltend schafft“!

Die ehrenamtlichen Mitarbeiter hoffen, dass eines Tages auch die Sportveranstalter, die Vereine und die Veranstalter der grossen Rock-und Popkonzerte zum Kreis der Kulturpartner gehören.

Ausdruck eines Kultur-Passes

Zum Beispiel ist mit dem Kulturpass ein Besuch im Schauspielhaus für 3 Euro oder ein Museumsbesuch im Städel, im caricatura und den anderen teilnehmenden Museen für 1 Euro möglich. Kinder ab 12 zahlen die Hälfte.

Verstärkt widmet sich der Verein den Kindern und den Familien mit speziellen Angeboten. Da geht es nicht nur um karitatives Engagement, sondern auch darum, Kinder und Jugendliche mit Kultur bekannt zu machen und darüber hinaus auch dafür zu sorgen, dass sie nicht gesellschaftlich ausgegrenzt werden.

Bisher haben nur etwa 6000 Erwachsene und nur 800 Kinder diesen Kulturpass erworben, der ein Jahr gilt. Dabei kann er ohne bürokratische Hürde, jedoch gegen entsprechenden Nachweis, bei fast 40 sozialen Trägern im Frankfurter Stadtgebiet für 1 Euro erworben werden, zum Beispiel bei der Lazarus Wohnsitzlosenhilfe am Affentorplatz oder beim Katholischen Kirchenladen in der Liebfrauenstrasse oder beim Frankfurter Arbeitslosen-Zentrum in der Friedberger Anlage.

Wer kam auf die Idee, „Kultur für ALLE“ zu gründen?

Götz Wörner.

Götz Wörner

Er war 20 Jahre alt, als Hoffmanns Buch erschien. Die Thesen, jeder Bürger müsse in die Lage versetzt werden, kulturelle Angebote in allen Sparten zu finanziell vernünftigen Konditionen wahrzunehmen, hatte der junge Mann verinnerlicht und sich Jahrzehnte später daran erinnert, wie wichtig Teilhabe an Kultur und Bildungsauftrag sind.

Wer ist dieser Götz Wörner?

Der gebürtige Pforzheimer machte Umwege, bis er das Abitur in der Tasche hatte, ging nach Heidelberg, nach Paris, wo er erste Kontakte zu Tango-Sängerinnen bekam. So nach und nach wuchs er in die Rolle des Musikproduzenten. Genau erinnert er sich an seine erste Platte mit dem chilenischen Liedermacher Sergio Vesely 1978. Mit Konstantin Wecker und Astor Piazolla arbeitete er zusammen, gründete die Schallplattenfirma und den späteren Musikverlag „messidor“, der zeitgenössische südamerikanische Musik bekannt machte. Der Frankfurter Musik-Journalist Michael Rieth nennt „messidor“ in seinem Buch „Horst Lippmann – ein Leben für Jazz, Blues und Rock“ ein kleines, feines Label.

20 Platten hat Wörner herausgebracht: zum Beispiel das Doppelalbum „Querido Pablo“, 1987, an dem sich grossartige Interpreten wie Mercedes Sosa beteiligt hatten. Ich fand es in meiner Schallplattensammlung. Pablo Milanés (*1943) ist ein kubanischer Poet und Sänger, ein Musikstar, eine Institution in Kuba. Einst war er absoluter Anhänger Fidel Castros, heute kritisiert er dessen Politik und wird in Kuba von den einen als Verräter beschimpft, von den anderen als mutiger Patriot gefeiert.

Wörners Projekte zeugen von musikalischer Qualität und schöner Gestaltung. Übersetzungen der Liedtexte waren selbstverständlich. Das war sehr kostenintensiv.

Erst 1988 wurde Wörner Frankfurter, hatte aber bereits 1984 das 1. Salsa-Fest hier organisiert.

Hohe Reisekosten, er war in Kuba, in den USA, in Brasilien, und eine Fehlinvestition bedeuteten schliesslich den Untergang seiner Musikfirma. Das war 1999. Seine Versuche, die Firma zu retten, scheiterten. Für die Sparkasse sei er, sagt Wörner, ein Spinner gewesen. Mehrfach betont er, dass er niemanden betrogen und alles bezahlt habe. „Der Idealist glaubt nicht ans Ende“, verschmitzt kommen diese Worte über seine Lippen.

Götz Wörner verlor alles und „beinahe auch den Lebensmut“. So geht es derzeit immer mehr Menschen.

Mitarbeiter des Sozialamtes und seine damalige Lebensgefährtin halfen ihm im Jahr 2000 auf die Beine. Sieben Jahre lang war er ziemlich unten.

Und dann gab es folgende Situation: Ein kubanischer Pianist, den er selbst entdeckt und aufgebaut hatte, gastierte in Frankfurts Alter Oper. 20 Euro dank Frankfurt Pass sollte der Eintritt kosten. Aber diese hatte Wörner am Monatsende nicht und konnte das Konzert nicht besuchen. Das hat ihn angestachelt, aktiv zu werden. Wieder erhielt er Hilfe, diesmal vom Verein „Bürgerinstitut e.V.“. Eine Machbarkeitsstudie wurde durchgeführt, und am 1. August 2008 wurde der Verein „Kultur für ALLE“ gegründet.

Nach wie vor ist Götz Wörner Hartz IV-Empfänger. Die Gelder für die Auszeichnungen, für die Preise, die der Erfinder des Kulturpasses einheimste und einheimst, fliessen alle in die knappe Kasse des Vereins. Die Berliner Zeitung taz und der Bundespräsident ehrten ihn als Helden des Alltags. Jedes Jahr gab es danach Auszeichnungen mit Geldpreisen, zuletzt 2012 die Walter Möller-Plakette der Stadt Frankfurt am Main – sie wird alle zwei Jahre für herausragenden Einsatz für das Gemeinwohl verliehen – , die der Vereinskasse 10.000 Euro bescherte. Ein Glück, sagt Wörner, es sei nämlich finanziell eng geworden.

Die Walter Möller-Plakette der Stadt Frankfurt am Main

Zur Verleihung am 28. November 2012 im Kaisersaal des Frankfurter Römers, musikalisch gefeiert durch die Jazzer Gustl Mayer, Günther Lenz, Udo Saidel und Ringo Hirth, war auch Hilmar Hoffmann gekommen.

Götz Wörner und Hilmar Hoffmann (Foto: Nina Siber)

Unter kulturpass.net werden tagesaktuell Angebote, Informationen und vieles mehr zum Kulturpass ins Netz gestellt.

(Fotos, soweit nicht anders bezeichnet: Renate Feyerbacher)

 

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