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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Alltägliche und seltsame Geschichten und Begebenheiten (11)

Holunder und die einsame Insel

von © -habust-

Sanft wiegte die Dünung die Motorbarkasse “Kurtchen” in den wohlverdienten Schlaf. Ächzend und todmüde sank die Sonne nach anstrengendem Tagwerk hinter den Horizont in ihr warmes, gemütliches Bett. Scheinen, scheinen, scheinen, dachte sie undeutlich vor sich hin. Und morgen dieselbe Tretmühle. Doch da war sie schon eingeschlummert und träumte von ihrer goldenen Jugendzeit, als sie gespannt auf die neuesten Ergebnisse der Schlagerbörse lauerte und ihrem liebsten Freund, dem guten Mond, den Triumph gönnte, wenn dessen Favorit wieder mal den ihren hinter sich gelassen hatte.

Kapitänleutnant Schoflich nahm das Besteck. “Sechzehn Grad Nordoost, zwanzig Minuten vor Acht”, notierte er ins Logbuch, bevor er sein Messer ins appetitliche neuseeländische Hirschedelgulasch stieß. “Wo bleiben die Preiselbeeren?”, tobte er in Richtung Kombüse, wo der verdreckte verschreckte Smutje verzweifelt am Preiselbeerenglasdeckel drehte. In der falschen Richtung. Deshalb ging er nicht auf.

Kaleunt Schoflich schrie förmlich vor Wut. In seiner Not griff Smutje Hein zum Hammer. Aber ach! Es gelang ihm in der dämmerigen Kombüse nur recht unvollkommen, die Splitter rauszuklauben. Und da war erst mal was los!

So ein Kaleunt hat allerdings, bekanntermaßen, einen Magen wie ein Tigerhai. Passiert ist also nix. Nur der Moses Rudi, dieser Naschkater! Dem hätte man die Flausen mal besser vorher mit der neunschwänzigen Katze austreiben sollen! Naja, so ein Seebegräbnis erlebt man ja auch nicht alle Tage. Hut ab vor Kaleunt Schoflich, was der dann doch für warme Worte für den Schiffsjungen, das gewesene Schleckermaul, fand.

Ich kriegte das alles nur durch einen Nebel mit. Ich war dermaßen seekrank! Hundeelend war mir. Alles hätte ich für ein winziges Stückchen festen Landes gegeben. Vielleicht nicht gerade alles, also z. B. bestimmt nicht meinen geliebten Rauhhaardackel Bazi. Ich hing über der Reling oder krümmte mich in der Koje zusammen. Die Schiffsjungen zu zählen, das war nicht mehr drin. Waren sowieso reichlich viele.

Jetzt sagt ihr natürlich: Wie kommt der uns denn vor, dieser Daniel? Geht uns sowieso schon dermaßen auf die Nerven. Und schreibt nun auch noch diesen Quatsch hier. Das muß doch nun wirklich nicht sein. Doch, das muß es doch.

Siebenunddreißig Tage auf See, ohne Schnupftabak. Das zwingt den härtesten Kerl in die Knie. Mich natürlich früher. Nach siebenunddreißig Minuten, ehrlich gesagt. Aber was halfs? Kam deshalb Land in Sicht?

Und die Dünung wird stärker. Die Thunfische tun ihr Bestes, den Kaleunt zu erheitern. Vergeblich. Der trauert dem Moses nach. Schreibt täglich mehr ins Logbuch. Bis der Füller leer ist. Leer wie der Blick des Kaleunt, wenn er verzweifelt in die leere Koje des Moses stiert. Ist es denn zu fassen, wie wenig Glasscherben der Magen eines jungen Menschen verträgt? Mußte der denn unbedingt zur See fahren, wenn er dermaßen empfindlich war?

Kein Ende nimmt das Grübeln, nehmen die Selbstvorwürfe. Hätte das neuseeländische Hirschedelgulasch nicht auch mit ohne Preiselbeeren super geschmeckt? Hätte die Barkasse nicht mit dem neuen BOA-Universalöffner ausgerüstet sein müssen? War nicht gerade er, Kaleunt Schoflich, es gewesen, der ihn von der Beschaffungsliste gestrichen und durch zwei Rollen Seemannsgarn ersetzt hatte? Wem sollte er das jetzt spinnen, jetzt, wo Rudi nicht mehr war? Was Rudis Mutter sagen? Was seiner, des Kaleunts, Frau, auch diese Rudis Mutter?

→ Alltägliche und seltsame Geschichten und Begebenheiten (12)

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