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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Mitternachtsblau“: Fides Becker bei Heike Strelow

Von Erhard Metz

Vielleicht mag das Blau ganz am Anfang einer sich immer bewusster werdenden Menschheit gestanden haben – das Blau des Himmels und der Meere, der fernen Berge und verschwimmenden Horizonte, der langen Schatten und der kühler werdenden, zur Ruhe geleitenden Nächte. Zumindest in unseren sogenannten westlichen Kulturkreisen steht dabei das Blau für innere Einkehr und Harmonie wie auch für verträumte Sehnsucht, für Vorstellungen von Unendlichkeit und Transzendenz.

Und doch gewinnt das Blau allerlei Schattierungen, wird mal vernehmlicher und mal wieder leiser, mal nimmt es sich gar weitgehend zurück, bleibt jedoch nie ganz allein unter sich, sondern lässt sich auf einen Hauch des grundliegenden Rot und Gelb ein, das aus Blau und Gelb geborene Grün tritt vorsichtig hinzu, aus Komplementärem entstehen Spannung wie zugleich Harmonie.

Spiegelwand, 2011, Acryl und Eitempera auf Leinwand, 210 x 160 cm

Längst wissen wir, wer hier skizziert und grundiert, mal deckend, mal lasierend Farbschicht um Farbschicht auf die Leinwand aufträgt: niemand anderes als die Frankfurter Malerin Fides Becker. Und es ist einigermassen faszinierend: Obwohl sie sich über viele Strecken weiterentwickelt, neue Wege eingeschlagen und neue, überraschende Sujets entdeckt hat, ahnt, ja fühlt der Betrachter, dass es allein Fides Becker sein kann, vor deren Arbeiten er steht.

Spiegelwand, 2011, Acryl und Eitempera auf Leinwand, zweiteilig, 320 x 230 cm

Und wieder gibt sie uns, wie bereits früher, einige Rätsel auf, macht uns neugierig und auch etwas unruhig, denn wir müssen uns auf Neues einstellen, das wir bereits in einem Irgendwo erahnen, aber noch nicht ergründen können. Da sind prachtvoll anmutende, schlossartige Säle, sie spiegeln sich in altem, noch mit Silber hinterlegtem Glas, hinter dem das Krakelee nagt, von schweren vergoldeten Stuckrahmen umgeben. Aber dieser Raum erscheint menschenleer. Wohnt hier niemand?

Canapé, 2011, Acryl und Eitempera auf Leinwand, 65 x 80 cm

Unbesetzt auch die Récamière, die Polsterung schon reichlich eingesessen, ein zart-dunkel-violettes Kissen lädt noch zum Ruhen ein, aber das bequeme Meublement steht vereinzelt und einsam im Raum. Wer mag zuletzt darauf gelegen haben? Wird jemand wiederkommen?

Rätselhaft auch die kleine Truhe, oder ist es ein Schatzkästlein für allerlei Gold und Geschmeide, weich im Inneren ausgekleidet und mit Seide überzogen, die Seiten mit Schleifen verziert. Doch ziehen alsbald dunklere Schatten und Ahnungen auf, kommen näher, noch erschrecken wir, im Hier und Heute, vor der Vorstellung, dass wir ein kleines Kind in seinen kleinen Sarg betten werden.

Ende ohne Zeit, 2011, Acryl und Eitempera auf Leinwand, 65 x 75 cm

Spiegelwand, 2011, Acryl und Eitempera auf Leinwand, zweiteilig, 200 x 250 cm

Und weiter ein verlassen erscheinender Saal, grosse Spiegelflächen, darin niemand zu sehen, kristallene Lüster, das Blau wird intensiver, dunkler und kühler. Schatten legen sich auf die Wände und plötzlich: Was geschieht uns, hallt nicht durch schütterne Fenster von Ferne der Ruf an Jedermann, eine Vision nur, ein Trugbild im Tabernakelaufsatz hoch über der Tür, oder schaut es uns dort aus fleischlosen Augenhöhlen an, ein Momento mori?

Datsche, 2011, Acryl und Eitempera auf Leinwand, zweiteilig, 200 x 340 cm

Vielleicht ein leichter und doch kühl-blauer später Sommerabend, eine Veranda inmitten eines Stückes Natur, einige Textilien hängen über dem Geländer, Menschen haben sie dort abgelegt. Blattreich ist der Baum, der sich zum Holzhäuschen hinüberwächst, doch eigentümlich fahl scheint er sich in den Raum zu tasten, sucht er den Dialog zur hölzernen Heimstatt, einst Baum wie er selbst. Auch deren Bewohner bleiben unsichtbar. An den seitlichen Rändern verschwebt sich das Bild ins Nirgendwo.

Und der Golem, auf mystischer Tradition der Kabbala gründend, begegnet uns, im wuchernden Efeu verborgen, auf einem Friedhof, dessen Bäume er, eins mit der schlingenden Pflanze, arabeskenhaft umrankt.

Golem, 2011, Acryl und Eitempera auf Leinwand, 210 x 155 cm

Kehren wir zu unseren Behausungen zurück, zu vertrautem Mobiliar, und doch scheint alles anders zu sein. War es, dass wir uns eben erst vom Sofa erhoben haben, die flauschigen Ruhedecken nur abgestreift und noch nicht aufgeräumt? War es ein anderer, haben wir jemandem ein Nachtquartier gewährt?

Und wer lag, wenn nicht wir, in unserem Bett, gänzlich Raum und Zeit verlierend? Körperliche Wärme noch verheissen die nicht geglätteten Kissen, das in weichen Falten ruhig über das Fussende fliessende, wiederum seidig schimmernde Bettzeug. Ein Bett, ein Mittelpunkt des Lebens, wir werden, wenn Glück uns berührt, in ihm und nicht auf nackter Erde geboren, wir werden, wenn Glück uns abermals berührt, nicht von Bomben zerfetzt, wir werden im Bett den Weg in die Unendlichkeit beginnen.

Nachtquartier, 2011, Acryl und Eitempera auf Leinwand, 85 x 155 cm

Bett, 2011, Acryl und Eitempera auf Leinwand, 115 x 145 cm

In den letzten Jahren hat Fides Becker ihre Malkunst erheblich weiterentwickelt, ihre Fertigkeiten erreichen altmeisterliche Qualitäten. Das narrative Moment ist weitgehend in den Hintergrund getreten. Die unmittelbare menschliche Gestalt hat sich aus den Bildern zurückgezogen, wir begegnen dem Menschen vielmehr indirekt, in seinen Interieurs, in seinem Meublement. Bemerkenswert auch das jetzt öfters anzutreffende Motiv des Spiegels – Symbol zwischen Narziss und selbsterkennender Reflexion. Wo bei Fides Becker schon immer eine grosse Empfindsamkeit im Sujet wie im künstlerischen Ausdruck  anzutreffen war, ist ihre Malerei jetzt stärker noch von einer Verinnerlichung, vielleicht von Zügen einer – nicht im Psychoanalytischen misszuverstehenden – Regression bestimmt, einer Reise also tiefer in das Ich. Wer sich auf diese neueren Arbeiten einlässt – und das sollte ein jeder Betrachter tun -, wird angestossen werden, sich selbst auf eine Reise in das Ich zu begeben.

Fides Becker, „Mitternachtsblau“, Galerie Heike Strelow, bis 6. Januar 2012.

(Abbildungen © Fides Becker / Galerie Heike Strelow)

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