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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Anonymus“ – ein Film von Roland Emmerich

Wer war der Autor der Shakespeare-Werke?

Von Renate Feyerbacher

Der Film „Anonymus“ von Roland Emmerich ist seit 10. November in den Kinos.


Hauptplakat © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH

Der Regisseur und Produzent hatte es sich nicht nehmen lassen, seinen bei Germanisten, Anglisten, Shakespeare-Anhängern und Stradford-upon-Avon Bewohnern (dort hat es bereits Protestaktionen gegeben) umstrittenes Werk auf der diesjährigen Buchmesse vorzustellen.

Nach der Vorführung gab es eine hitzige Diskussion zwischen dem Germanisten und Autor Kurt Kreiler („Der Mann, der Shakespeare erfand“), dem Lehrstuhlinhaber Englische Literaturwissenschaft und Präsidenten der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, Professor Tobias Döring, und dem Übersetzer Frank Günther. Hellmuth Karasek, Journalist, Buchautor, Kritiker und Professor, liess sie als Moderator zu.

Auf der Strecke blieb allerdings das Gespräch über „Anonymus“. Immerhin spendeten die Diskutanten einhellig Lob für den Film, der schauspielerisch und technisch meisterhaft ist.

Umstrittene These

Die These, die Kurt Kreiler in seinem 2009 erschienenen Buch vertritt und die Roland Emmerich in seinem Film umgesetzt hat, ist nicht neu. Sie besagt, dass nicht der einfache Mann aus Stratford der Autor der 37 Dramen und 154 Sonette ist.

Das Buch „Der Mann, der Shakespeare erfand: Edward de Vere, Earl of Oxford“ ist eine Biografie über den Adeligen, der bei Queen Elizabeth I. ein und aus ging.

In seinem Wort an die Leser schreibt Kreiler: „Einander ironisch musternd, stehen sie sich seit langem gegenüber: Shakspere und Shakespeare. Der geschäftstüchtige, unbelesene, des Schreibens kaum kundige Handschuhmachersohn aus Stratford-upon-Avon, der seine Werke aus dem Nichts heraus verfasste. Und der mit Freuds Worten „hochgeborene und feingebildete, leidenschaftlich unordentliche, einigermassen deklassierte Aristokrat Edward de Vere, siebzehnter Earl of Oxford“, der sich eines Pseudonyms bediente, weil er seine Werke gedruckt sehen wollte.“

„Eine der langlebigsten Mystifikationen der Geschichte“?


Rhys Ifans als „Edward de Vere“ in Sony Pictures‘ ANONYMUS © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH

Es gibt eine Reihe von Dokumenten, die für Oxford sprechen, der nach Frankreich und Italien gereist ist, der sehr gebildet war. Die italienischen Impressionen könnten in „Romeo und Julia“ verarbeitet worden sein.

Auch Oxfords literarische Zeitgenossen haben den „Earl als Verfasser der Shakespeareschen Werke angesprochen“. Oxfords Spitzname war „Spear Shaker“‚ „Shake Speare“, Speerschwinger.

Die Debatte über die Urheberschaft begann schon vor über hundert Jahren.

Mark Twain, Pseudonym für Samuel L. Clemens, Autor der Romane „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ und „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“, erinnerte 1909 in seinem Essay „Ist Shakespeare tot?“ daran, dass es von dem Mann Shakespeare aus Stratford ausser fünf Unterschriften keine einzige Zeile gebe. Und als er starb, im Jahr 1616, blieb das unbeachtet. Als Ben Jonson, Francis Bacon und die anderen bedeutenden englischen Poeten der Shakespeare-Zeit starben, trauerte das Volk.

Kein einziges Buch habe der Shakespeare aus Stratford erwähnt, kein Theaterstück, kein Gedicht, kein unvollendetes Manuskript.

„Soweit bekannt und nachweisbar, hat Shakespeare aus Stratford in seinem Leben nur ein einziges Gedicht geschrieben. Dieses eine ist echt.“ Dieses sollte und wurde auch auf seinen Grabstein gemeisselt.

Bedeutende Leute gehören zu den „Anti-Stratfordern“: Charles Dickens, Autor von „Oliver Twist“, der Psychiater Sigmund Freud, der Regisseur und Schauspieler Orson Welles und Sir John Gielgud, der berühmte englische Bühnen- und Filmschauspieler, einer der besten Darsteller von Shakespeares Rollen. Ihn sah ich 1957 im Old Vic, dem legendären Londoner Theater. Ich durfte den älteren Bruder nach seinem bestandenen Abitur nach London begleiten.

Vanessa Redgrave, die im Film Queen Elizabeth I. spielt, hält es auch für wahrscheinlicher, dass der Earl aus Oxford der Autor ist. Sie erinnert an die Vorgänge in den fünfziger Jahren um den amerikanischen Senator McCarthy und das House of Un-American Activities, vor dem sich viele Künstler und Schriftsteller, unter anderem Charly Chaplin und Bertolt Brecht, verantworten mussten. Da durften Autoren ihre Drehbücher nicht unter ihrem Namen veröffentlichen. Andere gaben ihren Namen her und wurden dafür bezahlt. Das Honorar gaben sie jedoch den eigentlichen Urhebern.

Der Gelehrtenstreit wird weitergehen. Spielt es wirklich eine Rolle, wer Shakespeare war? Ist es nicht wichtiger, diese literarischen Meisterwerke aus dem 16. Jahrhundert, die auch heute noch aktuell sind, zu bewahren?

Annäherung der Filmemacher

Roland Emmerich hat sich zehn Jahre lang mit der These der Urheberschaft beschäftigt. Angestossen wurde sein Interesse durch den amerikanischen Drehbuchautor John Orloff, der schon eine erste Fassung eines Drehbuches geschrieben hatte. Er erfuhr als 25jähriger Studienabgänger von der Kontroverse, die ihn nicht mehr los liess.


London – Eine Szene aus Sony Pictures‘ ANONYMUS © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH

England zur Zeit von Queen Elizabeth I. ist ein politisches Pulverfass.

Der Kern des Films handelt von der Beziehung zwischen Ben Jonson (1573 bis 1637) , William Shakespeare (1564 bis 1616) und Edward de Vere (1550 bis 1604). Aber eine brennende Frage in dieser Zeit war die Thronfolge. Elizabeth (1533 bis 1603) – Regierungsantritt 1558 – hatte offiziell keine Kinder. Sie lief immer als jungfräuliche Königin durch die Geschichte.

Machtkämpfe am Hof, Intrigen, verbotene Liebschaften und Mord waren an der Tagesordnung.


Joely Richardson (Prinzessin Elisabeth Tudor, Mitte) und David Thewlis (William Cecil, rechts) in Sony Pictures‘ ANONYMUS © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH

Der politische Aspekt war für Emmerich wichtig: „Mich faszinierte nicht nur die Idee, ob Shakespeare die Stücke nun geschrieben hat oder nicht.“ Er spricht vom kreativen Feuer in den Menschen und fragt nach der Beziehung zwischen Kunst und Politik. „Ist die Feder wirklich mächtiger als das Schwert?“

Fest steht, dass sich der Film nahe an den historischen Fakten orientiert.

Wie war es möglich, England zur elisabethanischen Zeit so empfunden authentisch auf der Leinwand zu realisieren?

Kamerafrau Anna J. Foerster, eine Spezialistin für visuelle Effekte, die schon lange mit Emmerich zusammenarbeitet, spricht von einer neuen Technologie bei der digitalen Kameraarbeit, die es möglich mache, bei geringem Licht zu filmen. Sie erinnert an die Gemälde von Johannes Vermeer und George de la Tour, die inspirierend waren. Kerzenlicht, Feuerschein und einfallendes, natürliches Licht wirken echt.

Ihr ist die grandiose Luftaufnahme von London, bei der man sich in einem Flugzeug oder Helikoper wähnt, zu verdanken.

Szenenbildner Sebastian Krawinkel, auch ein langjähriger Mitstreiter Emmerichs. Er hat viele alte Bücher und Karten studiert, Galerien und Museen besucht, um einem historisch korrekten Bild nahe zu kommen.

Herausgefordert wurde er durch den Nachbau des Rose und des Globe Theatres.

Es handelt sich um ein Filmset. Das Rose Theatre wurde später ins Globe verändert. Zwölf Wochen dauerte der Bau auf dem Gelände von Studio Babelsberg in Potsdam, wo gedreht wurde.


Ein Bären-Schaukampf im Theater in Sony Pictures‘ ANONYMUS © 2010 Sony Pictures Releasing GmbH

Viktor Engel und Mark Weigert, seit langem Weggefährten des Regisseurs, sind die Meister der visuellen Effekte, zum Beispiel der Totale der kompletten Londoner Stadt mit tausenden von Menschen vor dem Globe Theatre.

Krawinkel schuf die Modelle, von denen der Künstlerstab um Engel / Weigert Setdesigns im Computer erstellte. Unglaublich, was dabei herausgekommen ist.

Kostümbildnerin Lisy Christl empfand die elisabethanische Zeit als „eine der dankbarsten Perioden, die sich ein Kostümbildner wünschen kann. Als Deutsche hätte ich mir nie träumen lassen, jemals an einem Film über diese Zeit zu arbeiten.“

Und das in ihrem Studio Babelsberg. Sie und ihr Team haben etwa 300 Gewänder in Handarbeit geschaffen. Die Stoffe wurden zuerst gekocht, damit sie einlaufen, dann gefärbt, bemalt und bestickt.

Last not least musste alles zusammengebaut beziehunsgweise -geschnitten werden. Das war die Arbeit von Emmerichs Tonschnittmeister Peter R. Adam, der vor 30 Jahren schon als Tonmischer im seinem Team dabei war.

Das i-Tüpfelchen wird mit der Musik der beiden Filmkomponisten Harald Kloser, der seit zwanzig Jahren in Hollywood arbeitet, und Thomas Wander (eigentlich Wanker), einem gebürtigen Österreicher gesetzt.

Die Besetzung

Roland Emmerich, Regisseur und Produzent, begann seine Karriere bereits während seiner Studienzeit an der Filmhochschule München. Sein Film „Das Arche Noah Prinzip“ (1984) schaffte es sogar in den Wettbewerb der BERLINALE. Kurz danach gründete er bereits seine eigene Produktionsfirma.


Regisseur Roland Emmerich am Set von Sony Pictures‘ ANONYMUS © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH

Acht Jahre später ging er nach Hollywood, wo er Katastrophenfilme drehte, unter anderem den Sciencefiction-Film „Independence Day“ (1996), „Godzilla“ (1998) oder „The Day After Tomorrow“ (2004) über die Folgen der globalen Erwärmung.

2007 produzierte er „Trade – Willkommen in Amerika“, in dem das Thema der Sexsklaverei zwischen Mexiko und den USA behandelt wird. Mit dem Regisseur Marco Kreuzpainter stellte er diesen Film im gleichen Jahr auf der Buchmesse vor.

Sie wurden mit dem Hessischen Filmpreis in der Kategorie Cinema for Peace Special Award ausgezeichnet.

Und nun der politisch-historisch-literarische Film „Anonymus“ (2011).

Er bleibt sich treu: „Ich mache gerne Filme über Dinge, über die die Menschen sich streiten können.“


Vanessa Redgrave als „Elisabeth I.“ in Sony Pictures‘ ANONYMUS © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH

Vanessa Redgrave spielt die alternde Queen Elizabeth I.

Diese grosse, englische Theater- und Filmschauspielerin zieht den Zuschauer in ihren Bann. So tat sie es auch in dem Shakespeare-Film „Coriolanus“ (2011) von Ralph Fiennes, der in diesem Jahr im Wettbewerb der BERLINALE lief.

Ihr Minenspiel ist unbeschreiblich ausdrucksstark – ein wunderbares Altersgesicht der bald 75jährigen. Schon allein wegen ihr, die mit zahlreichen Oscars und Golden Globe Awards ausgezeichnet wurde, die ehrenamtliche UNICEF-Botschafterin und Amnesty International-Unterstützerin ist, sollte man den Film sehen.

Dem Regisseur ist es gelungen, Redgraves Tochter, Joely Richardson, für die Rolle der jungen Prinzessin Elizabeth zu gewinnen. Das Mutter-Tochter-Gespann hat etwas Authentisches.


Joely Richardson als „Prinzessin Elisabeth Tudor“ in Sony Pictures‘ ANONYMUS © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH

Rhys Ifans, einer der besten englischen Schauspieler, spielt Edward De Vere. Auch er gefällt in der Rolle wie alle anderen international bedeutenden Darsteller: David Thewlis, Xavier Samuel, Edward Hogg, Jamie Campbell Bower, Derek Jacobi und Sebastio Armesto (als Ben Jonson).


Sebastian Armesto als „Ben Jonson“ in Sony Pictures‘ ANONYMUS © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH

Und Rafe Spall als William Shakespeare.


Rafe Spall als „William Shakespeare“ in Sony Pictures‘ ANONYMUS © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH

Mehrere weitere Produzenten und Koproduzenten sind im Stab dabei – eine internationale Crew, mit starker Beteiligung deutscher Künstler.

Persönliches Fazit: ein interessanter, spannender, manchmal atemberaubender, optisch opulenter Historien- und Kostümfilm mit Theaterszenen aus den Werken William Shakespeares, der den Zuschauer in den Bann zieht.

Das Erzähltempo zu Beginn ist rasant, und es dauert eine Zeit, bis man sich in die Fakten gefunden, die Personen unterschieden hat. Es gibt die junge Elizabeth, die alte Queen, den jungen Oxford und den erwachsenen, den alten Cecil und den Sohn.

Aber die umstrittene Geschichte ist grandios. Sie ist nicht erfunden, sondern wird zurzeit heiss diskutiert.


FOTOCALL zum Roland Emmerich ANONYMUS mit Vanessa Redgrave und Joely Richardson © 2010 Sony Pictures Releasing GmbH

Seit 10. November ist „Anonymus“ von Roland Emmerich in den Kinos. Die Columbia Pictures präsentieren zusammen mit Relativity Media eine Centropolis Entertainment-Produktion in Zusammenarbeit mit Studio Babelsberg.

Buchtipp: Kurt Kreiler: „Der Mann, der Shakespeare erfand: Edward De Vere, Earl of Oxford“ (insel taschenbuch 4015 – Erste Auflage 2011 – Insel Verlag Berlin 2011 (Insel Verlag Frankfurt 2009).


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