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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Corinna Mayer

Schönheit in Rätseln

Von Erhard Metz

Schaut man sich in der vielgestaltigen Frankfurter Galerie- und Ausstellungsszene regelmässig um, so trifft man auf eine Malerin und Zeichnerin, die mit ihrem aktuellen Werk nicht recht in manchen galeristischen Zeitgeist zu passen scheint und deren künstlerische Position dem Betrachter durchaus einige Rätsel aufgibt.

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Taube, 110 x 100 cm, Öl auf Nessel, 2007

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Das Ei, 110 x 100 cm, Öl auf Nessel, 2006

Sofort fällt uns die „Schönheit“ ihrer Bilder auf, die Gediegenheit ihres malerischen Handwerks, wir erinnern uns der in der Renaissance einen vorläufigen Höhepunkt erreichenden Porträtkunst, auch begegnen wir manchen lange nicht mehr in der aktuellen Malerei gesehenen Farben und schliesslich einer Figürlichkeit, die wiederum einige Betrachter irritieren mag. Bei allem hat die Malerin einen künstlerischen Weg zurückgelegt, der überschaut sein möchte, will man sich dem Hier und Heute ihrer Arbeiten zuwenden.

Corinna Mayer, 1969 im hessischen Langen geboren, studierte zunächst Germanistik, bevor sie 1991 ihr Studium an der Hochschule für Bildende Künste – der Städelschule – in Frankfurt am Main in der Klasse von Hermann Nitsch aufnahm. Ein Erasmus-Stipendium führte sie 1994 an die École des Beaux Arts in Bourges. 1997 beendete sie ihre Ausbildung als Meisterschülerin in dem Fach Interdisziplinäre Kunst. 1999 nahm sie einen Lehrauftrag für Malerei und Zeichnung an der Fachhochschule Idar-Oberstein wahr. Im gleichen Jahr erhielt sie den Ersten Hunsrücker Kunstpreis. 2001 wurde sie Stipendiatin des bekannten Künstlerhauses Schloss Balmoral. Seit dem Jahr 2000 präsentierte die Künstlerin ihre Werke in über vierzig Einzel- und Gruppenausstellungen: Ihre Bilder fanden dabei über Frankfurt und Deutschland hinaus den Weg nach Amsterdam, Glasgow, Prag und Rom sowie nach Kroatien, Mallorca und Südkorea.

Corinna Mayer begann mit abstrakter Malerei, die bereits in ihrem Ansatz die Möglichkeit einer Öffnung zur Figurativität erkennen liess. Sie trug damals die Ölfarbe dick, teilweise mit ihren Händen auf. Es entstanden Bilder von reliefartiger Plastizität und gosser farblicher Intensität.

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Auflösung, 75 x 52 cm, Öl auf Nessel, 1993

Auf ihrem weiteren Weg gelangte sie zu einer expressiven Malerei, für die hier die „Marie mit verloren gegangenem Kind“ stehen mag, ein Bild voll Schmerz, Klage und Trauer. Es treten die beiden Farben hervor, die, vorübergehend sogar in einer monochromen Phase, grundsätzlich bis heute ihre Palette bestimmen: vor allem das Blau, ferner das Rot – die beiden Farben auch der traditionellen Mariendarstellungen. In ihrer „Marie“ scheint das Blau für das Immaterielle, Wesenhafte, für die Verinnerlichung zu stehen, das Rot für kreatürliche Leiblichkeit aus Fleisch und Blut, aber auch für Sterben und Tod.

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Marie mit verloren gegangenem Kind, 100 x 65 cm, Öl auf Nessel, 1994

Verweilt man beim Blau, der Farbe der Ferne und Tiefe, der „Blauen Blume“ der Romantik, des „Turms der blauen Pferde“ von Franz Marc, verweilt man bei Wassily Kandinskys Metaphorik von Blau als dem Unendlichen, bei den ultramarinblauen monochromen Bildkompositionen eines Yves Klein mit ihrer eigentümlichen Suggestivwirkung auf den Betrachter, so erschliesst sich vielleicht ein Teilaspekt der Malerei Corinna Mayers: der einer kühlen wie zugleich ruhigen, der Unendlichkeit verwandten Distanz, in Balance und Wechselspiel mit allen Schattierungen eines warmen Rot, gestuft über alle seine Erweiterungen ins Violette und Braune bis nahe hin zu einem wiederum warmen Schwarz.

Corinna Mayer durchschritt die erwähnte monochrome Malepoche, in den Grundfarben Blau und Rot:

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Zwischenlandung, 150 x 200 cm, Öl auf Nessel 2002

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Mit Rüstung, 100 x 80 cm, Öl auf Nessel, 2002

Wie wir sehen, malt die Künstlerin nahezu ausschliesslich Personen: einzelne Porträts sowie Paare, Dreier- und Vierergruppen bis hin zu grösseren Gruppierungen, die sich möglicherweise als Familienszenen deuten lassen. Wir begegnen einem in vielem introvertiert und rätselhaft erscheinenden Werk, das sich uns nicht zuletzt in zu ergründenden Widersprüchen darstellt.

Zum einen verharren diese Menschen in geschlossenen, ruhenden Positionen. Paare berühren und umfangen sich, die Partner zeigen – oder schenken – sich, behutsam haltend, eine Taube, ein Ei, es mögen Symbole für Frieden, Liebe, Fortpflanzung, Zukunft sein – oder der Sehnsucht danach. Oder sie entwachsen in zärtlicher, inniger Umarmung einer sich öffnenden Blüte, wiederum in nahezu monochromem Blau der Blume und der Gewänder, lediglich die Gesichter in einem dunklen, warmtönigen Teint, das volle Haar in Schwarz. Oft halten die Personen merkwürdig geartete Tiere in ihren Armen. Gibt diese Malerei unmittelbar Gefühlen Ausdruck oder sind es Projektionen von Gefühlen, in eine ferne – blaue, unerreichbare – Welt entrückt? Teilt uns die Malerin mit der „Blume“ ihre Vorstellung von Geborgenheit oder eher ihre Zweifel darüber mit? Zeigt sie uns nur den „schönen Schein“? Mitunter wirkt die Geschlossenheit der Figuren einschnürend und beklemmend, macht diese zu Gefangenen. Die Rüstung gibt der jungen Frau des rotmonochromen Porträts Schutz, aber ihrem Körper, und zweifellos auch ihrer Seele, nimmt sie die Bewegungsfreiheit.

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Blume, 100 x 80 cm, Öl auf Nessel, 2007

Dann die andere, entgegengesetzte Wahrnehmung, wie sie sich in der „Zwischenlandung“ andeutet: Die Umfangungen – ist man aus einem Schlaf, aus tiefen Träumen erwacht? – beginnen sich dort aufzulösen, die Körper wollen sich verselbständigen, die Gliedmassen sich in solche von Puppen verwandeln. Der Trend zur Emanzipation der Figuren und ihrer Körperteile setzt sich in vielen weiteren Arbeiten fort. Dann aber wieder eine „Tischgesellschaft“ voll scheinbarer Harmonie – Traum, Wunsch oder Wirklichkeit? Bemerkenswert dort eine Malerin vor ihrem Gemälde – einem Engel in pastosem Orangerot? Und wer sitzt, einem dunklen Schatten gleich, uns den Rücken zugewandt hinter dem knieenden Mädchen vor dem Bild im Bild? Oder ist das vermeintliche Bild doch nur ein Tisch?

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Tischgesellschaft, 170 x 140 cm, Öl auf Nessel, 2007

Bemerkenswert auch die in phantastischem handwerklichen Können angelegten Schatten auf den madonnenhaften Gesichtern der Frauen und den versonnenen, zuweilen auch mit eigenartigem Minenspiel belebten der Männer. Im Zentrum jeweils den Blick des Betrachters auf sich ziehende Augenpaare – den Blick anderer Augenpaare oft nicht suchend oder verfehlend.

Überraschend: Corinna Mayer lässt eine alte Kunst der Wandmalerei wieder aufleben: Wiederholt bemalte sie im Rahmen von Ausstellungen Wände und Treppenhäuser, beispielsweise 2003 die Galerie im Galluszentrum (leider nicht erhalten). 2004 erfüllte sie einen Auftrag, Räumlichkeiten des Amtsgerichts in Seligenstadt auszumalen, unter anderem einen Sitzungssaal des Gerichts.

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Vergessen, Wiedergefunden, Verloren, Acryl und Öl auf Wand, Galerie im Galluszentrum, Frankfurt/Main 2003

Wenn auch Personen und Personengruppen in den Bildern bei weitem überwiegen, sind mitunter Häuser ein Thema der Malerin. „Oft suchte ich“, schrieb Corinna Mayer 2005 dazu, „nach einem Haus, in dem ich wohnen könnte. Immer wieder taucht der Wunsch auf, umzuziehen, stellvertretend für die Suche nach einer Heimat, verknüpft mit der Frage nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einer Familie. Wie kann es funktionieren, dieses Zusammenleben in den Häusern? Was findet hinter den Fassaden statt? In wieweit werden die Menschen von den Häusern, in denen sie wohnen, geprägt? Ich genoss es schon oft, durch dunkle Strassen zu gehen und die erleuchteten Fenster zu sehen, mir vorzustellen, was hinter den Häuserfassaden passiert. Und alles erschien mir so geheimnisvoll.“

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Das Haus, Öl auf Holz, 100 x 100 cm, 2005

Gilt das von Corinna Mayer Gesagte in ähnlicher Weise nicht auch für ihre Malerei insgesamt?

Ganz im Kontrast dazu wiederum ein Bild aus neuerer Fertigstellung: Das bekannte, von Diego Velazquez 1650 gemalte Bild des machtsüchtigen, für seine Zornesausbrüche gefürchteten Papstes Innozenz X. inspirierte Corinna Mayer zu „ihrem Papst“, einem ebenso misstrauisch und durchdringend-scharf blickenden Herrscher: Welche Botschaft scheint er mit seinem roten Zettel in der Linken übermitteln zu wollen? Wo aber ist der rechte Arm mit dem Siegelring an der Hand? Verdeckt, aufgelöst, verwunschen durch die geheimnisvollen Strukturen vor der Brust? Ist er damit seiner Macht entkleidet?

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Papst, Öl auf Leinwand, 140 x 110 cm, 2008

Wieviel Autobiographisches mag die Künstlerin durchblicken lassen, ja erzählen? Bilder sind die Sprache der Malerin – und es bleibt ein zweifelhaftes Unterfangen, sie in die gemeine Wortsprache zu übersetzen. Wo sie uns rätselhaft erscheinen mögen, fordern sie uns heraus. Gleiches gilt für die Widersprüche, die wir – befangen in unserer Rezipientenwelt – wahrzunehmen glauben. Wir aber lassen uns gerne herausfordern, um unsere eigenen Möglichkeiten zu erweitern. Und wir möchten immer wieder schauen auf diese grossartigen Gemälde.

Eines der jüngsten Werke Corinna Mayers: das grossformatig-gewaltige „Ineinander“. Wieder das Blau, die Ferne, die Tiefe, die Ruhe. Und wieder die Auflösung einer zunächst vielleicht familiär erscheinenden Gruppe von Figuren, aber von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Ein dem Bacchus des Caravaggio nachempfundener Jüngling begegnet den jungen Menschen im T-Shirt unserer Zeit. Rätselhaft wiederum die Beziehung zwischen beiden – und doch verheissungsvoll. Ein Fluss von sich auflösenden und doch zusammengehörigen Strukturen könnte sie verbinden, vor Wassily Kandinskys Blau der Unendlichkeit.

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Ineinander, 200 x 150 cm, Öl auf Nessel, 2008

(Bildnachweis: © Corinna Mayer)

→ Corinna Mayer – Wandmalereien oder: Die Frucht vom Baum der Erkenntnis

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