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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Heide Weidele

Heide Weidele – nicht nur Phantasien in Licht

Von Erhard Metz

Industriepark Höchst, Hermann Scheer, Experte für erneuerbare Energien, designierter Wirtschafts- und Umweltminister in einem möglichen Kabinett Ypsilanti in Hessen: „Es gibt keinen Abfall, es gibt nur Material zur falschen Zeit am falschen Platz“. Der Materialist. Es geht um „Ersatzbrennstoffe“.

Ortswechsel.

Oberrad, ein Garten, ein Atelier, Heide Weidele: „Eine interessante These, aber nicht mein Ansatz. Meine Materialien sind Plastik-Gegenstände und -überbleibsel, ‚Abfälle‘ aus Haushalten, aber sie ‚leben‘ weiter und fordern mich zu neuer Gestaltung auf“.

Es ist einer jener zauberhaften Spätsommer- oder Frühherbstnachmittage, wir sitzen in der Sonne im grossen, wildernden Garten voller alter Bäume, Sträucher und Büsche, abblühender Blumen, die die Pracht des ausklingenden Sommers erkennen lassen, von letzten Schmetterlingen umflogen. Wir trinken hocharomatischen Tee, gebraut aus frisch gepflückter „gemeiner“ sowie englischer Pfefferminze. Das Atelier: eine 150 Meter lange ehemalige Seilerbahn im südlichen Frankfurt. Wundersam bizarres, rostiges Maschinengewirr, behütet von feinen Spinnweben. Ein Glücksfall, dieser Garten, dieses Atelier.

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Materialien im Atelier

Im Atelier: Das Heute und das Gestern. Im Heute geht es bunt zu. Wir kommen aus dem Garten, treten ein, und ein Blumenfeld lockt uns an … wir kommen näher und sehen ein Spiel, eine kunterbunte Paradiesvogelwiese, Heide Weidele hatte sie mehrfach als „Pavillon der Blüten und anderer Falschheiten“ unter anderem in der Goldhalle des Hessischen Rundfunks ausgestellt, aber wo sind die Schmetterlinge? Ach ja, im Garten, drinnen ist ja nur der – schöne? – Schein. Und wir sehen: die Ironie, die nicht verletzt, den charmant-weisen Witz, den wärmenden Humor der Künstlerin. Und ist er nicht doch auch schön, der Pavillon der Blüten?

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Blüten

Lüster

Dominant und ein grosses Thema bei Heide Weidele: Übermannshohe (pardon, überfrauhohe!) Lüster und Mobiles.

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Lüster (Ausstellung in Berlin)

Sie spielen von der Decke herab, an der sie befestigt sind, tänzeln sanft im Durchzug oder wenn man sie leicht mit der Schulter berührt. Luftige, filigrane Gebilde, bunte, flüchtige Gestalten im wechselnden Licht. Man könnte sie elektrifizieren, ja, was könnte man nicht alles, aber – sollte man es besser lassen, um ihnen nicht ihren Zauber zu nehmen? Und leuchten sie nicht bereits ganz von allein?

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Lüster (Ausstellung in Bonn)

Heide Weidele, 1944 geboren, seit 1971 in Frankfurt am Main ansässig, hat einen bemerkenswerten künstlerischen Weg zurückgelegt. Sie studierte an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und der Staatlichen Hochschule für bildende Künste – der Städelschule – in Frankfurt am Main. Bereits 1987 bezog sie ihr heutiges Atelier. In zahlreichen Lehraufträgen und mehreren Gastprofessuren, auch an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, gab sie ihr Wissen und ihre künstlerische Erfahrung weiter. Die Zahl ihrer Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland ist gross. Im Ausland war sie mit Werken in Schaffhausen und Visp, in Formine, Oslo, Strasbourg und Tel Aviv präsent.

Heide Weidele begann als Malerin. Es folgten Epochen der Arbeit mit Alltagsmaterialien, vor allem mit verschiedenen Pappen und Holz, nach der skulpturellen Ausarbeitung meist bemalt. Es entstanden in verschiedenen themabezogenen Projektphasen Vasen, Stadtarchitekturen, ihre vielfach ausgestellten, berühmten, bis zu dreieinhalb Meter langen „Schiffe“, weiter Türme und Berge, insbesondere „Weisshörner“, inspiriert durch das bekannte Vorbild im Wallis. Das alles ist heute jedoch das „Gestern“ in ihrem Atelier. Auch die Foto-Collagen, in denen sie Fotografien ihrer räumlichen Objekte zerschnipselt und in einer gleichsam höheren Dimension zu eigenständigen, neue Räumlichkeiten ausstahlenden Kunstwerken zusammenfügt.

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Lüster (Ausstellung in Strasbourg; Foto: Jürgen Klei)

Schon früh entwickelte sie ihre spezifischen künstlerischen Mittel: Sie zerlegt und zerkleinert das Materiel, setzt aus den Fraktalen das Neue zusammen und installiert die Objekte in Bezug zu den jeweiligen Räumlichkeiten etwa einer Ausstellung. Zu unserem – zunächst – Entsetzen verfährt sie auf diese Weise auch mit ihren „fertigen“ Arbeiten. Bei näherer Betrachtung verstehen wir diese Logik: Nichts ist statisch, alles ist in Bewegung und Weiterentwicklung, will sich erneuern und vervollkommnen, und die Künstlerin erfährt in diesem stetigen Prozess das eigene sich Öffnen und Voranschreiten zu neuen Einsichten und Perspektiven. „Was dabei herauskommt“, sagt sie, „ist auch für mich oft überraschend – wenn es mich nicht überrascht, verwerfe ich es meist gleich wieder“.

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Lüster (Ausstellung in Strasbourg; Foto: Jürgen Klei)

Plastik

Heute arbeitet Heide Weidele mit Plastik-Materialien: Krimskrams, Hula-Hoop-Reifen und Gartenschläuchen, vor allem aber mit abgelegten Haushaltsgegenständen, entleerten Behältnissen und Flaschen aller erdenklichen Art. Strandfunde an der bretonischen Küste gaben ihr den Impuls dazu. Sie liebt diese „armen“, in unserer Gesellschaft wertlosen Materialien, ihre meist grelle Durchfärbung, die Anstriche entbehrlich macht. Warum das „arme“ Material? „Es stellt keine Ansprüche an mich. Marmor etwa würde mir sagen, ich wurde schon von Michelangelo, von den Römern und den alten griechischen Meistern verarbeitet.“ Ihr Handwerkszeug ist das Teppichmesser, mit dem sie die vorgefundenen Gegenstände zerschneidet. Aus den so entstehenden Fragmenten und Schnipseln komponiert sie mal groteske, mal sensibel-poetische abstrakte Objekte ebenso wie die luftigen Lüster, die fröhlich-falschen Blütenfelder oder auch kleine „Tierchen“, bunte, fantasievolle, sympathische Geschöpfe. Heide Weidele komponiert die farbigen Materialien nach handwerklich-malerischen Aspekten und Erfahrungen, nach den erlernten tradierten Gesetzmässigkeiten des Malens.

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Ausstellung in Marburg

Was bedeutet ihr Arbeiten? „Arbeiten führt zu Erkenntnis. Eine Arbeit ist ein Schritt, eine Stufe auf der Leiter zur Erkenntnis. Auf der neuen Stufe stehe ich dann schon wieder über dieser Arbeit.“

Was sie von Museen hält? „Ach, Museen … mein Museum ist dezentral, meine Arbeiten sind bei meinen Sammlern“. Diese haben, wie sie verschmitzt einräumt, durchaus Grund, ihren Besuch zu fürchten: Wer ihr leichtsinniger Weise eines ihrer Werke ausleiht, etwa für eine Ausstellung, riskiert dessen Zerlegung und Neuformung zu einem Überraschend-Anderem.

Die Sonne wirft längere Schatten in den Garten, der Pfefferminztee duftet ätherisch-aromatisch. Wir kommen auf die Collagen zurück: „Menschen sind Collagen, durch Genetik, Erziehung und Gesellschaft geformt. Als Künstlerin verstehe ich mich in diesem Collagierungsprozess als ein Wesen, das diesen Vorgang auf bedeutsame Weise mit bestimmen kann.“

(Werke © VG Bild-Kunst, Bonn)

 → „1 + 1 = 3“ und „Tokonoma“: Heide Weidele und Andreas Gärtner im Deutschen Werkbund Hessen

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